Unterschiedliche Nachtarbeitszuschläge – ist das rechtens?

Von Simone Rothe, dpa

Erfurt (dpa) – Sie sind ein Aufregerthema für Tausende Beschäftigte in der deutschen Getränke- und Lebensmittelindustrie: Nachtarbeitszuschläge, konkret ihre unterschiedliche Höhe. Etwa 6000 Klagen liegen dazu bei den Gerichten, schätzt die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Es geht um einen Streitwert, «der sich mittlerweile auf gut 50 Millionen Euro summiert hat». Allein 400 Klagen haben es inzwischen bis zum Bundesarbeitsgericht (BAG) geschafft. Die ersten werden am Mittwoch in Erfurt verhandelt.

Worum es geht

Die höchsten deutschen Arbeitsrichter sollen die Frage beantworten, ob unterschiedlich hohe Zuschläge für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen. Im konkreten Fall wurde beim Getränkekonzern Coca-Cola in Ostdeutschland für unregelmäßige Nachtarbeit ein Zuschlag von 50 Prozent pro Stunde gezahlt, für regelmäßige Nachtarbeit aber nur von 20 Prozent. Geregelt ist das in einem Tarifvertrag, den die NGG bereits 1998 mit dem zuständigen Arbeitgeberverband abgeschlossen hat und der von Coca-Cola angewendet wird. Die Gewerkschaft würde die Regelung gern vom Tisch haben.

Der Präzedenzfall

Der Fall einer Nachtarbeiterin wurde vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg an die höchste Instanz geschickt. Die Klägerin, die regelmäßig nachts arbeitet, verlangt, dass ihr die Differenz zwischen 20 und 50 Prozent erstattet wird. Die Vorinstanzen haben ihren Fall unterschiedlich entschieden. Er machte Furore, weil er 2020 vom Bundesarbeitsgericht dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt wurde. Die europäischen Richter kickten den Ball, bei dem es um Tarifregelungen geht, aber zurück – und entschieden nicht. Es handele sich nicht um eine Frage des europäischen Rechts, die Entscheidung liege allein bei den höchsten deutschen Arbeitsrichtern, erklärten sie.

Ausgang ungewiss

Jetzt ist der Zehnte Senat des BAG am Zug. Letztlich geht es um eine tarifvertragliche Regelung, die er bewerten muss. Das Thema Tarifautonomie könnte ein Thema bei der Verhandlung sein, heißt es unter Arbeitsrechtlern. Dabei ist unstrittig, dass Menschen, die nachts in der Produktion stehen, ein Zuschlag für die von Arbeitsmedizinern nachgewiesene Belastung zusteht. Doch kann der höher ausfallen, wenn es nicht um dauerhafte Schichtarbeit geht? Die Arbeitgeber sehen das so. Sie argumentieren, der höhere Zuschlag soll nicht nur die Erschwernis durch die Nachtarbeit ausgleichen, sondern auch einen möglichen Eingriff in den Freizeitbereich von Menschen, die nur selten zur Nachtarbeit herangezogen werden.

Hohe Erwartungen

«Wir erhoffen uns Klarheit. Alle sind in Wartestellung», sagte der Leiter der NGG-Rechtsabteilung, Grégory Garloff, der Deutschen Presse-Agentur. Es könnte ein Signal auch für die vielen anderen Fälle geben. «Wir schätzen, dass von den rund 720 000 Beschäftigten in der Ernährungs- und Genussmittelindustrie nach Abzug der Beschäftigten, die in der Verwaltung oder im Zwei-Schicht-System (ohne Nachtschicht) arbeiten, rund 250 000 Beschäftigte von der Entscheidung zu den Nachtschichtzuschlägen potenziell betroffen sind», erklärte eine NGG-Sprecherin auf Anfrage. Allerdings geht es dabei um eine Vielzahl von Tarifverträge.

Einzelne Entscheidungen

«Der Zehnte Senat wird sich jede tarifliche Regelung anschauen und je nach den Vereinbarungen einzeln entscheiden», kündigte BAG-Präsidentin Inken Gallner kürzlich an. «Das wird 2023 eines der großen Themen am Bundesarbeitsgericht.» Verhandlungen und Entscheidungen zu Nachtarbeitszuschlägen seien auch im März, Mai und Juni zu erwarten.

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Schlecht verhandelt? Frau pocht auf gleiche Bezahlung

Von Simone Rothe, dpa

Erfurt (dpa) – Ihr wurden 3500 Euro monatlich in der Einarbeitungszeit angeboten – die Frau sagte Ja. Doch bald kamen ihr Zweifel und der Verdacht, dass ihr Kollege, der zwei Monate früher eingestellt wurde und den gleichen Vertriebsjob macht, deutlich mehr verdient. Am Donnerstag beschäftigen sich die höchsten deutschen Arbeitsrichter in Erfurt mit dem Fall. Manche erhoffen sich ein Grundsatzurteil zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern.

Der Fall

Pech gehabt, wurde der Frau beschieden, als sie von der sächsischen Metallfirma in der Nähe von Dresden die gleiche Bezahlung wie ihr kurz zuvor eingestellter männlicher Kollege verlangte. Immerhin betrug der Unterschied beim Grundgehalt in der Probezeit stattliche 1000 Euro monatlich, später nach Einführung eines Tarifvertrags immer noch etwa 500 Euro – bei gleichen Verantwortlichkeiten und Befugnissen, sagt die Klägerin.

Schlecht verhandelt

Ihr Arbeitgeber begründete den großen Gehaltsunterschied damit, dass sie bei ihrer Einstellung schlechter verhandelt habe als ihr männlicher Kollege. Beiden sei zunächst das gleiche Gehaltsangebot gemacht worden. Der Arbeitgeber berief sich bei der unterschiedlichen Bezahlung auf den Grundsatz der Vertragsfreiheit – und hatte damit Erfolg beim Arbeits- und Landesarbeitsgericht in Sachsen.

Die Klage

Verhandelt wird vom Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) wegen Entgeltdiskriminierung. Die Frau, die von 2017 bis 2019 bei der Metallfirma gearbeitet hat, sieht sich wegen ihres Geschlechts benachteiligt. Das Gericht solle prüfen, ob es sich um einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz handele.

Sie verlangt eine Nachzahlung von 14.500 Euro und eine angemessene Entschädigung für die erlittene Diskriminierung. Unterstützt wurde sie auf ihrem Weg durch die Gerichtsinstanzen von der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Nur wenige Frauen würden diesen langwierigen Weg gehen, heißt es bei der Gesellschaft, aber auch bei Gewerkschafterinnen.

Worum es geht

Geprüft wird nach Angaben einer BAG-Sprecherin, ob es möglicherweise objektive, geschlechtsneutrale Gründe für eine geringere Bezahlung gab und ob sich der Arbeitgeber darauf zurückziehen kann, dass der Klägerin ja das gleiche Grundgehalt angeboten wurde wie ihrem Kollegen. «Kann Verhandlungsgeschick den Ausschlag für Verdienstunterschiede geben», fragt Sarah Lincoln von der Gesellschaft für Freiheitsrechte.

Die Situation in Deutschland

Noch ist die unterschiedliche Bezahlung von Frauen und Männern keine Seltenheit in Deutschland – der geschlechterspezifische Verdienstabstand lag laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr bei 18 Prozent. Frauen erhielten demnach 2022 mit durchschnittlich 20,05 Euro einen um 4,31 Euro geringeren Bruttostundenverdienst als Männer mit 24,36 Euro. Knapp zwei Drittel der Lohnlücke erklärt das Statistikamt mit höheren Teilzeitquoten und geringeren Gehältern in frauentypischen Berufen. Es bleibt eine bereinigte Lücke von rund 7 Prozent des Brutto-Stundenlohns ohne eindeutige Erklärung.

2006 hatte der Abstand noch 23 Prozent betragen. In Ostdeutschland, wo der Fall spielt, ist die Lohnlücke kleiner als in Westdeutschland: 7 Prozent, im Westen 19 Prozent.

Gesetz hilft wenig

Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack bezeichnet das Entgelttransparenzgesetz, das seit 2017 für mehr Gleichheit sorgen soll, als zahnloser Tiger. «Die Hürden für Gehaltsauskünfte sind zu hoch und es sind keine Sanktionen vorgesehen», sagte Hannack der Deutschen Presse-Agentur in Erfurt. «Der Benachteiligung von Frauen in Deutschland sind noch immer Tür und Tor geöffnet.» Ähnlich sieht es Lincoln von der Gesellschaft für Freiheitsrechte. «Das Gesetz ist zu schwach, um Frauen zu schützen.»

Nach dem Transparenzgesetz bestünden Auskunftsrechte zum Gehalt nur in Unternehmen ab 200 Beschäftigten. Sie, aber auch Lincoln setzen auf eine neue Richtlinie der EU voraussichtlich im Sommer, die mehr Transparenz bei der Bezahlung von Frauen auch in Deutschland schaffen könnte. Das würde zwar die gesellschaftlichen Probleme bei der Benachteiligung von Frauen nicht lösen, aber betriebliche Ursachen für eine Ungleichbehandlung bei der Bezahlung verringern, so Hannack.

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Berücksichtigung von Urlaub bei Mehrarbeitszuschlägen

Erfurt (dpa/th) – Zeitarbeiter haben nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts einen Anspruch darauf, dass bei der Berechnung von Mehrarbeitszuschlägen auch Urlaubstage berücksichtigt werden. Die tarifliche Regelung für die Zeitarbeitsbranche sei so auszulegen, «dass bei der Berechnung von Mehrarbeitszuschlägen nicht nur tatsächlich geleistete Stunden, sondern auch Urlaubsstunden» mitzählen sind, entschied das Bundesarbeitsgericht in einem Fall aus Nordrhein-Westfalen (10 AZR 210/19). Weiterlesen

Debatte um die elektronische Arbeitszeiterfassung

Bundesarbeitsgericht
Von Simone Rothe, dpa

Erfurt (dpa) – In vielen Unternehmen und Behörden gibt es sie: Vertrauensarbeitszeitmodelle. Arbeitnehmer können ihre Arbeit zeitlich selbst organisieren, ihr Arbeitgeber vertraut ihnen, dass sie die Arbeitszeit effizient nutzen.

Manche Arbeitsrechtler sehen das Modell, von dem Zehntausende Angestellte, Vertriebsfachleute oder Servicetechniker profitieren, nun in Gefahr. Grund ist ein Fall aus Nordrhein-Westfalen, der am Dienstag vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt verhandelt werden soll. Weiterlesen

Bundesarbeitsgericht: Coronaprämie ist unpfändbar

Erfurt (dpa) – Corona-Prämien dürfen nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nicht gepfändet werden. Eine freiwillige Corona-Sonderzahlung, die Arbeitgeber ihren Beschäftigten überweisen, sei eine Erschwerniszulage und damit geschützt, urteilte das höchste deutschen Arbeitsgericht in Erfurt in einem Fall aus Niedersachsen (8 AZR 14/22).

Bisher gab es nur eine Festlegung für den Pflegebereich, in dem der Gesetzgeber ausdrücklich die Unpfändbarkeit von Corona-Prämien bestimmt hatte. Für alle anderen, bisher ungeregelten Bereiche, hat das Bundesarbeitsgericht nun mit seinem Urteil Klarheit geschaffen. Weiterlesen

Arbeit und Gehalt nur nach Corona-Test

Urteil
Von Simone Rothe, dpa

Erfurt/München (dpa) – Mit ihrem Widerstand gegen eine vom Arbeitgeber verordnete Corona-Testpflicht hat sich eine Flötistin der Bayerischen Staatsoper durch alle Gerichtsinstanzen gekämpft – und für ein Grundsatzurteil gesorgt.

Deutschlands höchste Arbeitsrichter stellten am Mittwoch in Erfurt fest, dass Arbeitgeber ihren Angestellten Corona-Tests vorschreiben können, um das Infektionsrisiko zu verringern. Eine solche Anordnung sei möglich, aber die Testpflicht müsse verhältnismäßig sein und die Interessen beider Seiten abwägen, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Streit um Testpflichten in Hygienekonzepten von privaten und öffentlichen Unternehmen. Weiterlesen

Ohne Corona-Test keine Arbeit? Bundesrichter entscheiden

Erfurt
Von Simone Rothe, dpa 

Erfurt (dpa) – Mit ihrem Widerstand gegen eine vom Arbeitgeber verordnete Corona-Testpflicht hat sich eine Flötistin der Bayerischen Staatsoper durch alle Gerichtsinstanzen gekämpft:

Heute sollen nun Deutschlands höchste Arbeitsrichter in Erfurt entscheiden, ob Arbeitgeber ihren Angestellten Corona-Tests vorschreiben können. Rechtlich geht es um das Weisungsrecht von Arbeitgebern und die Konsequenzen daraus. Damit landet ein weiterer Corona-Streitfall vor dem Bundesarbeitsgericht.

Offen ist, ob sich die Bundesarbeitsrichter bei ihrer Entscheidung an einem Tarifvertrag für Orchestermusiker orientieren wie die Vorinstanzen in München, oder ein Grundsatzurteil fällen. Dies hätte nach Ansicht von Fachleuten Auswirkungen auf Zehntausende Arbeitnehmer, wenn die Zahl der Corona-Infektionen im Herbst in Deutschland wieder drastisch steigen sollte. «Ein Grundsatzurteil kann für die nächste Infektionswelle entscheidende Hinweise zur Abwägung von Daten- und Gesundheitsschutz geben», sagt der Bonner Arbeitsrechtsprofessor Gregor Thüsing. Weiterlesen

Aufgeweichte Bundesrichter-Anforderungen werden korrigiert

Berlin/München (dpa) – Justizminister Marco Buschmann (FDP) hat die in der Richterschaft scharf kritisierte politische Aufweichung der Auswahlkriterien für Vorsitzende Bundesrichter rückgängig machen lassen.

Es gilt nun wieder, dass für Führungspositionen an den Bundesgerichten in der Regel fünfjährige Erfahrung am jeweiligen Gericht erforderlich ist.

Das Ministerium hat sich demnach mit den Spitzen der Bundesgerichte darauf verständigt, dass bei den anstehenden Stellenbesetzungen das bisherige Anforderungsprofil aus dem Jahr 2016 zu Grunde gelegt wird. Das teilte eine Ministeriumssprecherin in Berlin am Donnerstag auf Anfrage mit. Weiterlesen

Gericht stoppt Bundesfinanzhof-Vizepräsidentin

München (dpa) – Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat die Ernennung der neuen Vizepräsidentin des Bundesfinanzhofs gestoppt. Grund ist, dass die frühere Bundesregierung der auserkorenen Richterin Anke Morsch nach Auffassung des Gerichts zu Unrecht den Vorzug gab.

Das Bundesjustizministerium hat demnach «rechtsfehlerhaft» gehandelt. Drei unterlegene Bewerberberinnen und Bewerber für den Vizeposten am höchsten deutschen Steuergericht wären eigentlich besser qualifiziert gewesen, wie aus dem am Montag veröffentlichten Beschluss hervorgeht. Weiterlesen

Weniger Urlaub bei Kurzarbeit? – Grundsatzurteil erwartet

Arbeitsrecht
Von Simone Rothe, dpa 

Erfurt (dpa) – Den Präzedenzfall liefert Nordrhein-Westfalen, die Entscheidung könnte die Urlaubsplanung von Zehntausenden Kurzarbeitern im kommenden Jahr beeinflussen.

Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt geht es an diesem Dienstag um die strittige Frage, ob bei der sogenannten Kurzarbeit Null der Urlaubsanspruch von Arbeitnehmern anteilig gekürzt werden kann. Erwartet wird ein Grundsatzurteil der höchsten deutschen Arbeitsrichter. Weiterlesen

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