John Cale auf dem Elektrotrip

Von Philip Dethlefs, dpa

London (dpa) – «Ja, es ist ein Liebeslied», verkündet John Cale im Musikvideo seiner aktuellen Single «Noise Of You». «Als ich diesen Song skizziert habe, ging es vor allem um die Atmosphäre.» Das war auch die Marschroute für sein neues Album – das erste seit mehr als einem Jahrzehnt mit neuen Songs des Musikpioniers. Auf «Mercy» singt der experimentierfreudige Waliser, der im März 81 Jahre alt wird, zu atmosphärischen, ambientartigen Klängen und Elektrobeats.

Der Titelsong, ein Duett mit der in Berlin lebenden US-Sängerin und Elektro-Musikerin Laurel Halo, ist ein siebenminütiger, wunderbarer Downbeat-Klangteppich. «Days and days were spent in anger», singt Cale fast klagend. Lyrisch verarbeitet der gebürtige Waliser auf seinem 17. Studioalbum alles, was ihm in den letzten Jahren missfiel: Trump, Brexit, Covid oder Klimawandel.

Unheimliche Stimmungen

Die Stimmung ist mitunter etwas dystopisch. Der düstere Track «Marylin Monroe’s Legs», eine Kooperation mit dem britischen Elektro-Musiker Actress, fasziniert mit mysteriösen Echos, undefinierbaren Sounds und der Atmosphäre eines David-Lynch-Films. Die Stimmung ist unheimlich wie etwa bei «Lost Highway».

Hingegen singt Cale mit der vielseitigen Indie-Musikerin Weyes Blood, die zuletzt auch auf Alben von Lana Del Rey und den Killers gastierte, das eher erhebende «Story Of Blood», das nach jazzigem Piano-Intro zu einem kleinen Klangspektakel wird. Auch die Single «Noise Of You», die laut Cale von einem Winter in Prag inspiriert wurde, ist eher sinnlich und hat etwas Entspannendes.

Spannende Klangreise

Es ist nicht leicht, die passenden Worte für diesen faszinierenden Elektrotrip zu finden. «Mercy» ist eine unvorhersehbare, bisweilen merkwürdige, aber sehr spannende Klangreise. Bei wiederholtem Hören entdeckt das Ohr immer wieder etwas Neues. Und mit 80 Jahren gelingt es John Cale, der einst in New York als Mitgründer von The Velvet Underground die Musikwelt nachhaltig prägte, immer noch, mit seiner Musik zu überraschen.

Ab Februar geht John Cale  auf Tournee und spielt unter anderem sechs Konzerte in deutschen Städten.

• 16.02. Karlsruhe – Tollhaus

• 19.02. Frankfurt – Batschkapp

• 25.02. Hamburg – Kampnagel

• 26.02. Leipzig – Haus Auensee

• 28.02. Berlin – Verti Music Hall

• 05.03. München – Muffathalle

(ohne Gewähr)

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Frank Zappas Jazzrock-Alben zum 50. Jubiläum

Von Antje Raupach, dpa

Berlin (dpa) – Das Jahr 1971 ging für Frank Zappa nicht gut zu Ende: Erst brannte am 4. Dezember beim Auftritt mit seiner Band The Mothers of Invention der Konzertsaal im Casino von Montreux ab, bei dem ein Großteil seiner Soundanlage zerstört wurde. Und dann, nur wenige Tage später, am 10. Dezember, schubste ihn ein junger Mann in den Bühnengraben bei seinem Konzert im Londoner Rainbow Theatre. Der US-Musiker stürzte drei Meter in die Tiefe und verletzte sich so schwer, dass er neun Monate im Rollstuhl sitzen musste und bis zu seinem Tod 1993 an chronischen Rückenschmerzen litt.

Aber anstatt in Lethargie zu verfallen und sich im eigenen Elend zu suhlen, zog sich der als Bürgerschreck verschriene Anfang 30-Jährige in sein Haus im kalifornischen Laurel Canyon nahe Los Angeles zurück. Von dort aus steuerte er die Zusammenstellung einer 20-köpfigen Band und veranstaltete Aufnahme-Sessions, an deren Ende eine weitere Tournee und zwei Alben in einem Jahr (1972) herauskamen, die eine Zäsur im Werk Zappas markieren: «Waka/Jawaka» und «The Grand Wazoo».

Ein richtiger Zappa-Rausch

«Zappas neue Gruppe ist eine Sensation», schrieb ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur im September 1973 begeistert über den Auftritt Zappas in der Hamburger Musikhalle. «Komplizierte Linien, bei denen die Instrumente ungewöhnlich eingesetzt wurden, verdichteten sich zu rhythmischen Geflechten», hieß es weiter.

Und in der Tat versetzen die beiden Jazzrock-Alben, die zum 50. Jubiläum in einer großen Box mit vier CDs zu den Aufnahme-Sessions und einer Blu-ray-Audio-Disc mit den beiden besagten Alben mit neuen Dolby Atmos erscheinen, den Hörer in einen richtigen Zappa-Rausch: Blues-, Jazz-, Rock- und Big-Band-Anklänge verbinden sich zu komplexen und anregenden Sound-Blöcken, die es locker mit einer fordernden Attitüde eines Werkes des Kalibers «Bitches Brew» (1970) von Miles Davis aufnehmen können.

Die beiden Alben bilden eine Zäsur in Zappas Werk – und der Musikhistorie: «Frank Zappa verbindet in dieser Phase Elemente von Rock und Jazz mit Ideen der zeitgenössischen Musik zu einem zunehmend komplexen, eigenständigen Stil», sagte Prof. Udo Dahmen, künstlerischer Direktor und Geschäftsführer der Popakademie Baden-Württemberg, der Deutschen Presse-Agentur.

Seitdem gilt er als Avantgardist

Zappa experimentiere unter anderem im Song «Big Swifty» mit ungeraden Metren. «Der Gesang wird im Wesentlichen auch wie ein Instrument behandelt», so Prof. Dahmen. «Er weist mit der Arbeit bereits auf spätere Schaffensphasen, in der zunehmend komplexe, ungewöhnliche instrumentale Besetzungen, Taktarten und entsprechende schnelle Wechsel von verschiedenen musikalischen Parts typisch werden, die durchaus humorig-zynische, zappa-eske Anspielungen enthalten.»

«Waka/Jawaka» und «The Grand Wazoo» brachten Zappa endgültig den Ruf des Dauer-Avantgardisten ein. Aber die Vorfälle im ausgehenden Jahr 1971 hatten noch eine andere weitreichende Folge für die Musikhistorie: Deep Purple waren zu diesem Zeitpunkt ebenfalls in Montreux, um Aufnahmen zu ihrem neuen Album «Machine Head» zu produzieren. Der Brand am Ufer des Genfersees inspirierte sie zu ihrem Welthit «Smoke on the Water» – und damit wurde in nur einer Nacht ein weiteres Kapitel Musikgeschichte geschrieben.

Das 4-CD + Blu-ray Audio Box-Set «Waka/Jawaka And The Grand Wazoo (50th Anniversary Suite)» erscheint am 16. Dezember bei Universal.

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