Ministerium vertraute in Flutnacht dem Katastrophenschutz

Hochwasser
Von Ira Schaible und Peter Zschunke, dpa 

Mainz (dpa/lrs) – «Eine schwere, aber beherrschbare Hochwassersituation» – mit diesen Worten hat der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz den anfänglichen Eindruck in der Nacht der Flutkatastrophe im Ahrtal zusammengefasst. Der SPD-Politiker schilderte dem Untersuchungsausschuss des Landtags am Freitag seinen Besuch in der Einsatzzentrale des Landkreises Ahrweiler am 14. Juli 2021: «Ich habe den Eindruck gehabt, dass man wirklich sehr kompetent und konzentriert arbeitet, weil man seine Region auch sehr genau kennt.»

Erst am nächsten Morgen sei nach und nach das Ausmaß der «größten Katastrophe» sichtbar geworden, «die Deutschland nach dem Krieg heimgesucht hat» – mit 134 Toten allein im Ahrtal und 184 insgesamt in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen.

Mit seinem Besuch in der Technischen Einsatzleitung in Bad Neuenahr-Ahrweiler habe er «der kommunalen Ebene den Rücken stärken» wollen, sagte Lewentz in der Befragung durch den Ausschuss. Weder auf der Fahrt nach Bad Neuenahr-Ahrweiler noch rund 25 Minuten später auf der Rückfahrt habe er Hinweise auf Schäden wahrgenommen. «Es hatte eigentlich andere örtliche Schwerpunkte» sagte Lewentz mit Blick auf das Ausrufen des Katastrophenfalls im Kreis Vulkaneifel und Berichten aus anderen Gebieten der Eifel.

Ihm sei nicht bekannt gewesen, dass Landrat Jürgen Pföhler (CDU) «nur kurz» in der Einsatzzentrale anwesend gewesen sei, sagte der Minister. Auch habe er nicht gewusst, dass der Landrat die Einsatzleitung an den Brand- und Katastrophenschutzinspekteur (BKI) delegiert habe. Gegen beide ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen eines Anfangsverdachts der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen wegen womöglich zu später Warnungen.

Nach weiteren Erkundungen und Telefongesprächen sei er etwa zwei Stunden nach Mitternacht schlafen gegangen, sagte der Minister. Am frühen Morgen habe er mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) telefoniert, mit dem Polizeipräsidium Koblenz, mit der Bundespolizei und anderen. Dann sei er wieder nach Bad Neuenahr-Ahrweiler gefahren und zunächst von einer Polizeisperre aufgehalten worden. «Die Brücke war weg – das war mein erster tatsächlicher Eindruck von dem, was dort geschehen sein muss.»

Es sei in den Lagemeldungen am 14. Juli auch nicht ansatzweise von einer Flutkatastrophe die Rede gewesen, sagte auch der Staatssekretär im Innenministerium, Randolf Stich (SPD). Nach den ihm zugegangenen Informationen «konnte man davon ausgehen, dass der zuständige Katastrophenschutz vor Ort aktiv ist». Er habe «keine Hinweise für die Notwendigkeit» gesehen, «weiteres zu veranlassen», sagte Stich.

«Es war eine Flächenlage, die mehrere Kreise betroffen hat», sagte der Referatsleiter der überregionalen Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD), Heinz Wolschendorf. «Dass es so dramatisch aussieht im Kreis Ahrweiler, ist erst am 15. im Laufe des Tages richtig klar geworden.» Die ADD habe zunächst auch keinen Hinweis darauf gehabt, dass eine technische Einsatzleitung nicht funktioniere, sagten Wolschendorf und ADD-Präsidert Thomas Linnertz. «Die Kreise müssen, wenn sie sich überfordert fühlen, Kontakt suchen», sagte Wolschendorf in seiner rund dreieinhalbstündigen Vernehmung im Landtag. Sonst gebe es keine Anhaltspunkte, dies anzunehmen.

Der als Sachverständige zugeschaltete Direktor des Kieler Instituts für Krisenforschung, Frank Roselieb, sah deutliche Defizite im Umgang mit der Katastrophe – vor allem beim damaligen Landrat an der Ahr, Jürgen Pföhler (CDU), aber auch bei der früheren Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne).

Der Obmann der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid, sagte: «Direktor Roselieb hat der gesamten Landesregierung kein gutes Zeugnis ausgestellt und untermauert mit seinen Aussagen die Forderung der Freien Wähler-Landtagsfraktion nach einem sofortigen Rücktritt von Anne Spiegel.»

Der Vertreter der Grünen, Carl-Bernhard von Heusinger, schloss sich Roseliebs Kritik an Landrat Pföhler ausdrücklich an. Die Zuständigkeit für den Katastrophenschutz aber liege zu keiner Zeit beim Klimaschutzministerium. «Dieses hat die Hochwasserdaten vollständig und rechtzeitig an die zuständigen Stellen übermittelt und ist damit seiner Verantwortung vollumfänglich nachgekommen.»

In den vergangenen sieben Monaten war es im Untersuchungsausschuss vor allem um Wetterwarnungen, den Umgang damit und um die Rolle des Landesamts für Umwelt gegangen. Die damalige für das Landesamt und den Hochwasserschutz zuständige Ministerin Spiegel war bereits am 11. März gehört worden.

 

 

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