Kulturrettung nach der Flut: Seelenbuch übergeben

Mainz (dpa/lrs) – In einer umgestürzten Glasvitrine mit dickem, stinkenden, braunem Schlamm überzogen: So wurde das Seelenbuch der Sankt-Sebastianus-Bürgerschützen-Gesellschaft Ahrweiler aus dem Jahr 1655 kurz nach der Flutkatastrophe gefunden. Mit etwas Glück gelangte es schnell in die fachkundigen Hände von Restaurator Norbert Schempp. 371 Tage später hat Kulturministerin Katharina Binz (Grüne) am Mittwoch dem Hauptmann der Schützengesellschaft, Jürgen Knieps, das rund 90 Seiten starke wiederhergestellte Schmalfolio in Mainz überreicht. «Damit die Kraft des Wiederaufbaus nicht ausgeht, braucht es Lichtblicke wie diesen Tag», sagte Knieps.

Als «äußerlich sehr unspektakulär», aber «höchst interessante Quelle» beschrieb die Leiterin des Landesbibliothekszentrums, Annette Gerlach, das 28,5 Zentimeter hohe und 12 Zentimeter breite Mitgliederverzeichnis der Schützengesellschaft. «Als Spiegelbild der Geschichte von Ahrweiler ist es unersetzbar wertvoll.» Die ersten Mitgliedseinträge stammen bereits aus der Mitte des 15. Jahrhunderts.

«Es war verschlammt und klatschnass», berichtete Schempp. 62,5 Stunden habe die Restaurierung des Seelenbuchs gedauert. Dass es auch bei der Rettung von Kulturgut aufs Tempo ankommt, erläuterte der Fachmann so: «Nach 24 Stunden kann es anfangen zu schimmeln und nach zwei Wochen ist der Drops gelutscht, wenn der Schimmel durch die Blätter wächst.»

«Pergament darf eigentlich nie nass werden, sonst wird es brüchig und transparent», beschrieb Schempp die Herausforderung des Restaurierens. Der Pergament-Einband konnte aber mit Hilfe von Gefriertrocknung gerettet werden; dabei wird das Wasser zu Dampf. Der zähe Schlamm wurde vorsichtig mit in einer Alkohol-Wasser-Lösung getauchten Wattestäbchen von den Seiten gekratzt.

Um bei künftigen Katastrophen wichtige Schriftstücke und Kulturgüter rechtzeitig zu erkennen und schnell vor der Zerstörung zu retten, will die Landesregierung jetzt ein Notfall-Kulturkataster aufbauen. «Die Flutkatastrophe hat gezeigt, wir brauchen einen zentralen Notfallplan», sagte Binz. Dazu gehöre die Vernetzung mit Krisenstäben und Notfallcontainer für die Rettung von Kulturgut. «Wir wollen uns besser vorbereiten, denn der nächste Starkregen kommt bestimmt», sagte Gerlach.

Allein im Stadtmuseum von Bad Neuenahr-Ahrweiler sei etwa die Hälfte der rund 2800 Objekte, darunter auch Möbelstücke, zerstört, beschädigt und zum Teil verloren, sagte Binz. Die gesamte Restaurierung und der Wiederaufbau etwa privater Räumlichkeiten freischaffender Künstler werden noch sehr lange dauern. Einiges sei auch bereits restauriert und zurückgegeben, so etwa die Schützenfahnen. Anderes sei unversehrt geblieben, wie bedeutende mittelalterliche Handschriften aus dem Pfarrhaus Ahrweiler, sagte Gerlach.

Mit Hilfe des belastbaren Netzwerkes in Rheinland-Pfalz und privater Kontakt sei die Rettung vieler Kulturgüter auf den Weg gebracht worden. Knapp 180 Kunstwerke des Stadtmuseums Bad Neuenahr-Ahrweiler, darunter Gemälde, Holzskulpturen und Glasobjekte, lagerten noch in verschiedenen rheinland-pfälzischen Depots. Einige Objekte seien auch bei privaten Paten, die sich bereit erklärt hätten, die Restaurierung kostenlos zu übernehmen. In Archiven und Museen in Köln und Stuttgart lagerten darüber hinaus noch ungezählte Konvolute, die es zu restaurieren gelte.

Ein besonders umfangreiches Restaurationsprojekt von sieben teils über 100 Jahre alten Gemälden aus dem Ahrtal hat das Erkenbert-Museum in Frankenthal übernommen. Einige hundert archäologische Objekte aus dem überfluteten Depot des Stadtmuseums Ahrweiler wurden im Römisch-Germanischen Zentralmuseum (RGZM) in Mainz gesäubert, getrocknet, dokumentiert und für die Zwischenlagerung vorbereitet. Mindestens 16 Stücke aus dem in einer Tiefgarage untergebrachten Museumsdepot werden im Kloster Engelthal im hessischen Altenstadt schonend getrocknet. «Die Hilfsbereitschaft war und ist auch im Kulturbereich groß», betonte Binz.

 

 

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