Gutachter: Flutkatastrophe im Ahrtal schon am Nachmittag da

Mainz (dpa/lrs) – Das Bemühen um die Evakuierung der Menschen an der Ahr hätte nach Einschätzung eines Gutachters schon am Nachmittag der sich anbahnenden Flutkatastrophe in den Vordergrund gestellt werden müssen. «Am 14.7. war am Pegel Müsch zwischen 15 und 17 Uhr die Katastrophe im Fluss schon da», sagte Christoph Mudersbach von der Hochschule Bochum am Freitag im Untersuchungsausschuss im Landtag in Mainz. Es sei klar gewesen, dass höchstwahrscheinlich ein schlimmeres Hochwasser erreicht würde als im Durchschnitt alle 100 Jahre – und dies wahrscheinlich bis zur Mündung der Ahr bei Sinzig.

«Die grundsätzliche Information über die Gefährdungslage» sei zu diesem Zeitpunkt schon da gewesen, betonte er. «Man musste gegen 15, 16 Uhr davon ausgehen, dass entlang der Ahr mindestens die Flächen» überflutet würden, die auf den gesetzlich vorgeschriebenen Hochwassergefahren- und Hochwasserrisikokarten für ein hundertjähriges oder noch selteneres Ereignis eingezeichnet seien, sagte der Professor vom Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwesen Diese würden vom Landesamt für Umwelt herausgegeben.

Ein Landrat oder Feuerwehrmann könne diese Karten allerdings nicht nutzen, sagte Mudersbach. Dazu seien zusätzlich wasserwirtschaftliche Fachinformationen notwendig, etwa über den Ablauf des Wassers. Die nach dem Elbe-Hochwasser 2002 ins deutsche Recht aufgenommenen Karten enthielten Informationen für die Vorsorge und stellten für viele Kommunen auch die Basis für die Planung dar – im Ernstfall beim Einsatz seien sie aber nicht mehr hilfreich.

«Selbst der Laie kann mit einem Blick auf die Karte erkennen, ob ein Gebäude im Wasser steht oder ganze Flächen», sagte der selbstständige Fachmann für Risk-Management und ehemalige Feuerwehrmann, Christian Brauner. Die gedruckten Karten seien aber «nur bedingt tauglich, um Evakuierungen zu planen». Wesentliche Informationen dafür hätten gefehlt.

Aufgrund der Gefahrenkarten für ein außergewöhnliches Hochwasser, das seltener als alle 100 Jahre vorkommt, sei aber zu erkennen gewesen, dass in einem solchen Fall Hunderte bis Tausende betroffen wären. «Ich hätte mir sehr viele Sorgen um die Camping-Plätze und deren Nutzer gemacht», sagte der Gutachter. Zu erkennen sei auch gewesen, dass bei einem solchen Hochwasser Verkehrswege überflutet würden, die Höhe der Überflutung und die Gebäudestabilität allerdings nicht.

Nach den Empfehlungen des Landes hätten die Gefahrenkarten mit Informationen von vor Ort ergänzt werden müssen; wie, habe das Land aber nicht festgelegt. «Ich hatte den Eindruck, dass hier und da schon auf die Karten geschaut worden ist. Was die Konsequenz daraus war, wurde aber nicht dokumentiert», sagte der 65-Jährige über den Umgang der Kommunen damit.

Die Alarm- und Einsatzpläne einiger Kommunen und des Kreises weisen nach Einschätzung Brauners Mängel auf. Die Durchschnittskommune habe aber auch nicht das Personal, um die ganzen hydrologischen Informationen zu nutzen und nicht die Erfahrungen und die Methoden für die Risikoannahmen, stellte der Gutachter fest.

In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 waren im Ahrtal mindestens 134 Menschen ums Leben gekommen. Hunderte Menschen wurden verletzt, Tausende Häuser zerstört.

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