Gutachter: Bei Sturzflut kann nur Evakuierung Leben retten

Mainz (dpa/lrs) – Der Untersuchungsausschuss Flutkatastrophe hat sich erneut mit der Frage befasst, ob die rheinland-pfälzische Landesregierung bei der tödlichen Sturzflut vor rund einem Jahr automatisch die Einsatzleitung inne hatte. «Die Übernahme der Einsatzleitung muss immer ausdrücklich erklärt werden und kann niemals automatisch erfolgen», sagte Gutachter Gerd Gräff am Freitag in Mainz. Der Sachverständige Bernd Grzeszick aus Heidelberg hatte dagegen für die automatische Zuständigkeit bei seiner Aussage im Mai durchaus Indizien gesehen.

«Das Land darf die Einsatzleitung nur entziehen, wenn es im dringenden öffentlichen Interesse ist», sagte Gräff mit Verweis auf die Landesverfassung. Dafür müsse im Regelfall etwa der Landrat Überlastung anzeigen, oder es in besonderen Fällen konkrete eindeutige Anhaltspunkte für Überforderung geben.

Der Übergang auf die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) «kann immer nur der extreme Ausnahmefall sein, wenn es überhaupt keine andere Möglichkeit mehr gibt, Menschen zu retten», sagte der 68 Jahre alte ehemalige Ministerialrat im Innenministerium. Gräff ist auch Herausgeber des juristischen Kommentars zum Brand- und Katastrophenschutz des Landes.

Es gebe keine rechtlich Grundlage, dass das Land – und damit die ADD – nur auf Bitte etwa der Kreise die Leitung übernehmen könne, hatte dagegen Staatsrechtler Grzeszick gesagt. Das Land könne vielmehr automatisch zuständig sein, wenn sich eine größere Lage über mehrere Regionen erstrecke und Ressourcen knapp seien. Für die Zuständigkeit müsse nicht zuvor der Katastrophenfall ausgerufen werden. Ob die ADD bei der Sturzflut Mitte Juli 2021 automatisch zuständig war, könne er nicht abschließend beurteilen, da er nicht alle Fakten kenne. Es gebe aber Hinweise darauf, hatte Grzeszick gesagt.

Bei einer Sturzflut wie im Ahrtal sei die Evakuierung das einzige Mittel, um Menschen zu retten, sagte Gräff, der auch bei der Freiwilligen Feuerwehr war. Wenn sich die Menschen erstmal auf Hausdächer gerettet hätten, bestehe Lebensgefahr. «Eine Evakuierungs-Anordnung ist ausschließlich dem Einsatzleiter vorbehalten.» Ein Starkregenereignis mit einer Sturzflut unterscheide sich ganz wesentlich von langsam ansteigenden Hochwasserlagen mit längeren Vorlaufzeiten, betonte Gräff. Das Sicherheitskonzept für die Bevölkerung könne dann nur lokal gewährleistet werden. «Die zentrale Abwehr kann bei Sturzfluten gar nicht wirksam werden.» Die Zeit, in der noch Menschen gerettet werden könnten, sei dafür zu kurz.

Um die Frage zu klären, hat der Ausschuss Gutachter Grzeszick für die nächste Sitzung nach der Sommerpause am 8. September noch einmal geladen. Außerdem soll dann noch ein dritter Sachverständiger gehört werden, der Staatsrechtler Christoph Gusy von der Universität Bielefeld

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