ADD-Mitarbeiter: Hatten in Flutnacht kein Lagebild

Mainz (dpa/lrs) – In der Flutnacht versuchten sie vergeblich Hubschrauber für Menschen in größter Not zu organisieren – hatten aber kein Bild vom Ausmaß der Katastrophe im Ahrtal. So schilderten mehrere Beschäftigte der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) die Nacht in der Landesbehörde in Trier. Erst am Abend des nächsten Tages sei ihm klar gewesen, dass es ein «katastrophales Ereignis» im Ahrtal gegeben habe, berichtete der Leiter der ADD-Koordinierungsstelle, Fabian Schicker, am Donnerstag im Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtags. Das gesamte Ausmaß der Katastrophe sei ihm erst Stück für Stück über mehrere Tage bewusst geworden.

ADD-Sachbearbeiter Thomas Friedrich aus der am frühen Abend der Flutnacht einberufenen Koordinierungsstelle sagte, ihm sei am Mittag des nächsten Tages – also am Donnerstag (15. Juli) – aus den Nachrichten klar geworden, dass die Lage im Kreis Ahrweiler eskaliert war. Sein Kollege Bernd Dochow antwortete auf die Frage, wann ihm persönlich klar geworden sei, dass die Lage eskalierte und er es mit einer nie da gewesenen Katastrophe zu tun hatte: «Am Freitag.» (16. Juli).

Trotz der Menschen, die auf dem Campingplatz im Dorsel auf einem Wohnwagendach auf Rettung warteten, und mehrerer eingestürzter Häuser im Ahrort Schuld habe sich in der Flutnacht die Lage im Kreis Ahrweiler «nicht wesentlich dramatischer dargestellt» als in den anderen sieben von den Wassermassen betroffenen Kreisen, sagte Schicker. Die meisten Anforderungen seien vielmehr aus dem Kreis Trier-Saarburg gekommen und außer dem Kreis Ahrweiler habe auch der Kreis Bitburg-Prüm Hubschrauber angefordert. «Wir sind in der Nacht von allen Kreisen relativ gleichmäßig in Anspruch genommen worden.»

«Es war sehr schwer, ein Lagebild in der ersten Nacht zu bekommen», sagte Schicker. Die Informationen hätten telefonisch abgefragt werden müssen und dies habe sehr lange gedauert. Erst gegen 5.00 Uhr am nächsten Morgen habe er aus dem Polizeipräsidium Koblenz einen Lagebericht bekommen – mit einem unbestätigten Todesfall und 50 bis 70 Vermissten.

Es habe in der Nacht zu keinem Zeitpunkt Hinweise gegeben, dass die Landkreise nicht in der Lage gewesen wären, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, sagte der 29-Jährige Brandrat Schicker. Dass es Probleme mit der Informationsbeschaffung und Weitergabe der Informationen aus dem Kreis Ahrweiler gegeben habe, sei ihm nicht bewusst gewesen, berichtete auch der Zeuge Dochow.

«Für mich hat sich in der Nacht nie die Frage aufgedrängt, ob das Land jetzt die Einsatzleitung übernehmen müsste», sagte Schicker. Eine Übernahme der Einsatzleitung in der ersten Nacht hätten seines Erachtens auch keine Handlungsmöglichkeiten gebracht, «die wir nicht auch so gehabt hätten».

Der Leiter des ADD-Referats Brand- und Katastrophenschutz, Heinz Wolschendorf, stimmte zu: «Wir haben das Möglichste unternommen, um die Kräfte in den Technischen Einsatzleitungen zu unterstützen. Nichts anders hätten wir gemacht, wenn wir die Einsatzleitung übernommen hätten.» Der damalige Ahr-Landrat Jürgen Pföhler (CDU) habe es am nächsten Tag auch zunächst abgelehnt, «dass wir die Einsatzleitung übernehmen». Gegen Pföhler und seinen damaligen Brand- und Katastrophenschutzinspekteur ermittelt die Staatsanwalt Koblenz.

«Wenn ich eine zentrale Einsatzleitung wähle, muss ich irgendwas zentral entscheiden können», sagte Wolschendorf. Dies sei aber in einer Flächenlage wie der Flutnacht «Unsinn», auch wenn es juristisch möglich sei. In der Katastrophennacht habe die ADD auch ausreichend häufig Kontakt zum Kreis Ahrweiler gehabt, um den Schluss zu ziehen, dass dieser – wie die anderen von dem Wassermassen betroffenen Landkreise – die Lage im Griff habe, sagte Wolschendorf. «Was im Ahrtal passiert ist, war so außergewöhnlich, dass sich das keiner vorstellen konnte.»

ADD-Chef Thomas Linnertz und Innenminister Roger Lewentz (beide SPD) sollen am Freitagnachmittag zum zweiten Mal befragt werden. Auch dabei wird es um die Frage der Einsatzleitung gehen.

Bei der Flutkatastrophe vor rund 14 Monaten waren mindestens 135 Menschen im nördlichen Rheinland-Pfalz ums Leben gekommen, darunter 134 im Ahrtal. 766 Menschen wurden verletzt. Auf einer Länge von 40 Kilometern an der Ahr wurden Straßen, Brücken, Gas-, Strom- und Wasserleitungen und rund 9000 Gebäude zerstört oder schwer beschädigt. Allein im Ahrtal sind rund 42.000 Menschen betroffen, landesweit etwa 65.000. Viele leben noch immer in Ausweichquartieren.

 

 

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