Opposition sieht Lewentz nach Polizei-Videos unter Druck

Koblenz/Mainz (dpa/lrs) – Das Polizeipräsidium Koblenz hielt die Hubschrauber-Videos aus der Ahr-Flutnacht nach Angaben des Innenministeriums wohl nicht für ausschlaggebend zur Einschätzung der Lage. Man habe sich auf die weitere Lagebewältigung im Ahrtal konzentriert, heißt es in einer Mitteilung des Ministeriums in Mainz vom Dienstag. «Nach aktuellem Stand geht insbesondere das Polizeipräsidium Koblenz davon aus, dass im Polizeipräsidium Koblenz entschieden wurde, dass die Videodaten am Morgen keinen entscheidenden Beitrag mehr zur Lagebewältigung/-einschätzung leisten konnten.»

Die Staatsanwaltschaft Koblenz sieht wegen der überraschend aufgetauchten Filme der Ahr-Flut im Juli 2021 Klärungsbedarf. Inwiefern die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft womöglich ausgeweitet werden müssten, werde geprüft, sagte Oberstaatsanwalt Dietmar Moll. Die nicht-öffentlichen Filme sollen dem Vernehmen nach bedrückende Szenen von Menschen in Not zeigen, und zwar zwischen 22.15 und 22.42 Uhr – viele der mindestens 134 Todesopfer im Ahrtal starben erst spät in der Nacht.

Die Aufnahmen eines Polizeihubschraubers waren erst kürzlich, mehr als ein Jahr nach der Flut, bekanntgeworden. Am Freitag wurden zwei Videos hinter verschlossener Tür im Untersuchungsausschuss des Landtags gezeigt.

Eine sonst übliche Live-Übertragung aus dem Hubschrauber an die Polizeidienststelle habe in der Flutnacht vor allem aufgrund der Wetterlage nicht funktioniert, teilte das Innenministerium mit. Die Beobachtungen und die Fotos der Hubschrauberstaffel seien aber – so wurde es auch im Untersuchungsausschuss bekannt – an das Polizeipräsidium und das Lagezentrum im Innenministerium übermittelt worden. «Die Lichtbilder flossen daraufhin genau wie die geschilderten Erkenntnisse der Hubschrauberbesatzung in die Lagebewertung ein», heißt es in der Mitteilung des Ministeriums.

Der Hubschrauber-Pilot habe von Hilfesuchenden im Flutgebiet berichtet und von Menschen, die ihn mit Taschenlampen angeleuchtet hätten, hatte der Lagebeamte Jörn Grünhagen aus dem Innenministerium im Untersuchungsausschuss gesagt. Der Pilot habe darauf entschieden, den Flug einzustellen, weil er den Menschen keine Hoffnungen machen wollte, dass sie gerettet werden könnten. Der Polizeihubschrauber hatte keine Seilwinden.

Der Obmann der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid, sagte: «Ich, in der Funktion eines oberen Katastrophenschützers, hätte die Bewegtbilder sehen wollen!» Denn diese sagten unter dem Aspekt der Sturzflut viel mehr aus als die übersandten Fotos, zumal bei der im Untersuchungsausschuss immer wieder dargestellten «topographischen Unkenntnis» in den zuständigen Stellen. Aus Wefelscheids Sicht «wäre es eigentlich naheliegend gewesen, wenn diese zuständigen Stellen – das Polizeipräsidium Koblenz, die Koordinierungsstelle ADD, das Lagezentrum Innenministerium – auf der Übertragung der von den Polizeihubschraubern gesicherten Videodateien noch in der Flutnacht bestanden hätten.»

Eine am 28. Oktober 2021 an den Untersuchungsausschuss übersandte Liste habe «Hinweise auf Videodaten unter anderem der Polizeihubschrauberstaffel» enthalten, erklärte das Innenministerium. Das Gremium habe aber zunächst wegen «des generell sehr umfangreichen Datenbestands» auf die Vorlage von Videomaterial verzichtet. Im Februar habe der Untersuchungsausschuss die Beiziehung weiterer Akten beschlossen, darunter auch etwaige «Lagefilme». Dem Innenministerium sei «das Vorhandensein der Videoaufzeichnungen erst durch Rückmeldungen und die erneute Prüfung der Dienststellen zum Aktenbeiziehungsbeschluss vom 29. August 2022» bekannt geworden. Nun werde eine nicht-vertrauliche Fassung für den Untersuchungsausschuss vorbereitet.

Die Filmaufnahmen waren nach dem Einsatz des Hubschraubers auf einem USB-Stick gesichert. Das Polizeipräsidium Koblenz habe den Stick – nach aktuellem Wissensstand – nicht bei der Hubschrauberstaffel abgeholt, und diese habe das auch nicht in ihren Akten vermerkt, stellte das Innenministerium fest. Daher hätten zunächst das Polizeipräsidium Einsatz, Logistik und Technik, zu dem die Hubschrauberstaffel gehört, sowie auch das Polizeipräsidium Koblenz, das den Flug beauftragt hatte, im Bezug auf die Filme «Fehlanzeige» gemeldet. Lewentz hatte die von seinem Lagezentrum in der Flutnacht im Juli 2021 angeregten Aufnahmen nach eigener Darstellung erstmals am Freitag im Untersuchungsausschuss gesehen.

CDU-Fraktionschef Christian Baldauf kritisierte: «Ein total wirres Geschehen. Ein Polizeihubschrauber wird am Flutabend zur Aufklärung losgeschickt, auf Anregung des Lagezentrums im Innenministerium. Es werden Filmaufnahmen angefertigt, aber anschließend nicht ausgewertet. Und dann bleiben sie über Monate bei der Hubschrauberstaffel liegen.» Die Landesregierung wisse mindestens von den Videos, stufe sie aber aus unerfindlichen Gründen als unwesentlich für die Arbeit des Untersuchungsausschusses ein. Es stellt sich laut Baldauf die Frage, «ob bewusst brisantes Material dem Ausschuss vorenthalten wurde». Die Flutvideos seien ein Schlüsselbeweis für die Flutnacht, «weil sie ein klares Lagebild dokumentieren».

Oberstaatsanwalt Moll teilte mit, dass seine Behörde am Dienstag insgesamt sieben angeforderte Videos vom Polizeipräsidium Koblenz bekommen habe. Diese stammten nach «derzeitigem Kenntnisstand aus der Zeit vom 14.07.2021, 22.14 Uhr, bis 15.07.2021, 6.09 Uhr». Die Filme müssten analysiert und mit den bisherigen Ermittlungsergebnissen abgeglichen werden. Zudem seien die näheren Umstände von Auftrag, Entstehung, Kenntnisnahmen, Auswertung und Verbleib der Polizeivideos zu klären. «Wir müssen vielleicht auch die Helikopterpiloten vernehmen», sagte der Jurist.

Die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelt bereits seit mehr als einem Jahr gegen den früheren Ahrweiler-Landrat Jürgen Pföhler (CDU) und einen weiteren Verdächtigen wegen womöglich zu später Warnungen und Evakuierungen. Pföhler wies die Vorwürfe zurück. Es geht um die Frage, ob sich Behörden deutlich zu spät um die Rettung von Menschen gekümmert haben.

 

 

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