Urteil aus Karlsruhe zu neuer Analyse-Software der Polizei

Karlsruhe (dpa) – Mit einer neuen Analyse-Software für große Datenbestände will die Polizei potenziellen Straftätern schneller auf die Spur kommen – aber zu welchem Preis? Kritiker befürchten, dass das Computerprogramm schnell zur Datenkrake wird und auch vor unbescholtenen Menschen nicht Halt macht. Um strenge Vorgaben für die Nutzung zu erreichen, haben sie in Karlsruhe geklagt. Heute (10.00 Uhr) verkündet das Bundesverfassungsgericht sein Urteil.

In Hessen und Nordrhein-Westfalen ist die Software schon im Einsatz, Bayern arbeitet an der Einführung. Andere Länder könnten bald folgen, denn Bayern hat mit dem US-Unternehmen Palantir federführend einen Rahmenvertrag geschlossen. Damit können alle Polizeien von Bund und Ländern das System ohne zusätzliche Vergabeverfahren übernehmen.

Sorge: Wird das Programm zur Datenkrake?

Das Programm durchforstet Datenbanken, um Querverbindungen zu entdecken, die den Ermittlern sonst vielleicht nie auffallen würden. In der Karlsruher Verhandlung am 20. Dezember hatte ein Abteilungsleiter des hessischen Landeskriminalamts geschildert, wie das bei der großen Razzia gegen sogenannte Reichsbürger kurz zuvor eine Festnahme ermöglicht habe: Dank Hessendata – so der Name der Software – sei aufgefallen, dass eine Nummer aus einer Telefonüberwachung einmal bei einem Verkehrsunfall angegeben wurde. So hätten Aufenthaltsort und Personalien festgestellt werden können.

Ausgewertet werden zunächst einmal nur Daten aus Polizeibeständen. In einer der Datenbanken sind allerdings auch Opfer und Zeugen erfasst – oder jemand, der einmal einen Kratzer am Auto zur Anzeige gebracht hat. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die die Überprüfung in Karlsruhe angestoßen hat, sieht außerdem die Gefahr, dass auch externe Daten einfließen, etwa aus sozialen Netzwerken. Das System lade geradezu dazu ein, immer mehr Informationen einzuspeisen.

Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) hatte den Richterinnen und Richtern des Ersten Senats versichert, es gebe keine Anbindung ans Internet und auch keinen automatisierten Zugriff auf Daten aus sozialen Netzwerken. Journalisten hatte er vor der Verhandlung gesagt, unter bestimmten Voraussetzungen könnten auch Daten von außen zugespielt werden. Das sei aber die Ausnahme und nicht die Regel.

Anpassung der Software möglich

Das US-Unternehmen Palantir verteidigte den Einsatz seiner Auswertungssoftware. Die Software ermögliche es deutschen Polizeibehörden, «ihre rechtmäßig erhobenen Daten schneller und effektiver zu verarbeiten», sagte der Strategiechef des Unternehmens für Europa, Jan Hiesserich, dem «Handelsblatt». «Welche Daten dabei ermittlungsrelevant sind, bestimmen dabei ausschließlich unsere Kunden im Einklang mit relevanten rechtlichen Bestimmungen.»

Dem Karlsruher Urteil sieht Hiesserich gelassen entgegen. «Wir begrüßen das Bestreben des Gerichts, Klarheit darüber zu schaffen, unter welchen Umständen und auf welche Art und Weise Polizeibehörden ihre rechtmäßig erhobenen Daten verarbeiten können.» Auch für den Fall, dass die Richter dem Einsatz der Datenauswertung Grenzen setzen sollte, sieht sich das Unternehmen gewappnet. Die Software könne dank ihrer hohen Konfigurierbarkeit flexibel an etwaige neue rechtliche Rahmenbedingungen angepasst werden.

Rechtsgrundlage lässt viele Fragen offen

Eingesetzt wird Hessendata insbesondere zur Bekämpfung von Terrorismus, organisierter Kriminalität und Kinderpornografie. Bei rund 14.000 Abfragen jährlich arbeiten landesweit mehr als 2000 Polizistinnen und Polizisten mit dem System. Diese sind zwar nur für ihren Zuständigkeitsbereich freigeschaltet. Nach Ansicht der zuständigen Datenschutzbeauftragten sind das trotzdem zu viele. Und bei einer Ausweitung auf andere Länder und den Bund könnten künftig vermutlich sehr viel mehr Stellen auf sehr viel mehr Daten zugreifen.

Die GFF kritisiert außerdem, dass die Rechtsgrundlage für den Einsatz der Software extrem vage sei und viele Fragen offen lasse. Hier könnten die Richter möglicherweise Nachbesserungen verlangen.

Das Urteil bezieht sich auf Hessen und Hamburg, wo es für den möglichen Einsatz der Software immerhin schon eine gesetzliche Grundlage gibt. Inhaltlich geht es ausschließlich um die Nutzung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten. Als Kläger treten Journalisten, Anwältinnen und Aktivisten auf. Eine dritte Verfassungsbeschwerde der GFF wegen der NRW-Software aus dem Herbst war in dem Verfahren nicht mehr berücksichtigt worden.

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