Parlamentspräsident Buchner für sachlichen Blick auf Wahlprobleme

In Berlin wächst die Spannung: Muss die Abgeordnetenhauswahl wiederholt werden? Parlamentspräsident Buchner wendet sich vor der mündlichen Verhandlung des Verfassungsgerichtshofes gegen zu viel Skandalisierung.

Berlin (dpa/bb) – Ein Jahr nach den Wahlen in Berlin hat der Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses, Dennis Buchner, für eine sachliche Analyse der seinerzeit aufgetretenen Pannen und organisatorischen Probleme plädiert. «Nicht alles, was passiert ist, ist aus meiner Sicht skandalisierungsfähig», sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur.

«In den allermeisten Fällen geht es einfach darum, dass der Wahlakt später beendet wurde. Und wenn man um 18.00 Uhr noch in der Schlange steht und dann noch wählen darf, dann ist das für mich etwas, was zu Unrecht skandalisiert wird.» Zumal die Schlangen vor den Wahllokalen auch damit zu tun gehabt hätten, dass wegen der Corona-Pandemie auf Abstand geachtet worden sei und auch weniger Wahlurnen aufgestellt worden seien.

Am 26. September 2021 waren die Berliner gleich zu vier Abstimmungen aufgerufen: Den Wahlen zum Bundestag, zum Abgeordnetenhaus und den Bezirksparlamenten sowie zu einem Volksentscheid über die Enteignung großer Wohnungskonzerne. Dabei waren massive Probleme aufgetreten: Dazu zählten falsche oder fehlende Stimmzettel, die zeitweise Schließung von Wahllokalen und lange Schlangen davor mit teils stundenlangen Wartezeiten. Außerdem hatten etliche der 2257 Wahllokale teils noch weit nach 18.00 Uhr geöffnet.

An diesem Mittwoch verhandelt der Berliner Verfassungsgerichtshof in öffentlicher Sitzung über Einsprüche gegen die Wertung der Wahlen zum Abgeordnetenhaus. Möglich ist, dass die Wahl zumindest in einigen der 78 Wahlbezirke wiederholt werden muss. Eine Entscheidung darüber fällt das Gericht voraussichtlich noch in diesem Jahr.

Nach Einschätzung Buchners sind nach den Vorgaben des Gerichts vor allem zwei Punkte wichtig: «Das eine ist die Verhältnismäßigkeit, das andere ist der Punkt Mandatsrelevanz.» Hier geht es also darum, ob Wahlfehler sich auf die Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses und die Mandate auswirken.

Buchner verwies auf die höchste Wahlbeteiligung seit 1990 von 75,4 Prozent und auf rund 1,85 Millionen abgegebene Stimmen. «Wenn ich mal die Vorwürfe langer Schlangen oder Wartezeiten wegen fehlender Stimmzettel rausnehme und die tatsächlich passierten Fehler anschaue, etwa falsch ausgegebene Stimmzettel, die für ungültig erklärt werden mussten, dann reden wir von etwa 1600 Stimmen. Diese Anzahl ist im Vergleich zu 1,85 Millionen abgegebenen Stimmen tatsächlich verhältnismäßig gering. Wir sollten das nicht ganz vergessen, wenn wir über Verhältnismäßigkeit sprechen.» Eine höhere Repräsentanz eines Abgeordnetenhauses habe es seit 1990 nicht mehr gegeben.

«Dann ist am Ende für mich die Frage entscheidend, hat das eine Relevanz auf die Zusammensetzung dieses Parlaments oder auf die Frage, wer sitzt in diesem Parlament. Und das wird das Gericht beantworten müssen», so Buchner weiter. «Aus meiner Sicht ist die Anzahl der fehlerhaft abgegebenen und daher als ungültig gewerteten Stimmen zu gering, um hier wirklich eine Relevanz zu haben für die Frage der Zusammensetzung des Parlaments, also bei den Zweitstimmen.»

Die Frage, ob es in einigen Wahlkreisen bei den Erststimmen so eng gewesen ist, dass womöglich nicht der richtige Abgeordnete im Parlament sitze, werde sich das Gericht noch einmal anschauen müssen. Seine Einschätzung auch hier laute aber: «Ich glaube, die Mandatsrelevanz ist ganz wenig gegeben.»

Vor diesem Hintergrund könnte es nach Einschätzung Buchners sogar sein, dass das Verfassungsgericht gar keine Wiederholung anordnet. «Vor Gericht ist alles vorstellbar: Neuwahlen, partielle Nachwahlen, aber auch, dass am Ende keine Mandatsrelevanz für das Gesamtparlament erkannt wird», so der Politiker.

Die tatsächlichen Fehler beschränken sich aus seiner Sicht auf einen kleinen Anteil von Wahllokalen. «Das Gericht muss entscheiden, lässt man dort noch einmal wählen, oder lässt man es und sagt, wir lernen aus dieser Wahl, wir lernen aus den Pannen, wir verändern was, aber wir akzeptieren auch, dass dieses Wahlergebnis zumindest zu 99,9 Prozent rechtmäßig zustande gekommen ist.»

Er müsse auch das Recht der Abgeordneten vertreten, die in Wahlkreisen gewählt worden sind, wo es keine Wahlpannen gegeben habe und wo große Stimmenabstände da seien, so Buchner. «Am Ende muss es auch für die Abgeordneten, die gewählt worden sind, eine Verlässlichkeit geben, ihr Mandat ausüben zu können.»

Generell unterstrich Buchner, dass sich die Fehler von damals so nicht wiederholen dürften. Er finde es daher richtig, dass der Senat auf Basis einer Empfehlung einer Expertenkommission strukturelle und organisatorische Reformen auf den Weg gebracht habe. Dass die Demokratie durch die Vorkommnisse am Wahltag Schaden genommen habe, könne er nicht erkennen, so Buchner. «Es ist kein Schaden für die Demokratie entstanden, aber es ist Wasser auf die Mühlen derer, die immer behaupten, dass Berlin sich nicht gut organisiert bekommt.»

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