Kampf für «Nazi-Kiez» – Eisenachs Problem mit Rechtsextremisten

Von Stefan Hantzschmann, dpa  

Jahrzehntelang machten sich in Eisenach Rechtsextremisten breit. Führende Köpfe der Neonazi-Szene wohnen dort – und knüpften bundesweite und internationale Kontakte. Nun wird gegen eine Kampfsportgruppe ermittelt, die als besonders gewaltbereit gilt.

Eisenach (dpa/th) – Sie trainierten für den Straßenkampf und wollten ein «Nazi-Kiez» schaffen: Bei einem großangelegten Schlag gegen die Neonazi-Szene sind im westthüringischen Eisenach drei Menschen festgenommen worden. Eine weitere Person wurde im hessischen Rotenburg an der Fulda festgenommen. In elf Bundesländern gingen Ermittler gegen rechtsextreme Netzwerke vor, es gibt mehr als 50 Beschuldigte, wie die Bundesanwaltschaft am Mittwoch mitteilte. Schwerpunkt der Aktion: Eisenach, die Stadt, in der einst Martin Luther wohnte und auf der Wartburg das Neue Testament übersetzte. Seit Jahren schon ist Eisenach aber nicht nur als Luther-Stadt, sondern auch als Hort teils militanter Neonazis bekannt.

«Das war eine Entwicklung von mehr als 20 Jahren», sagt Eisenachs Oberbürgermeisterin Katja Wolf (Linke). Rechtsextreme Leitfiguren hätten dazu beigetragen, aber auch eine gewisse Normalisierung rechtsextremer Strukturen in der Gesellschaft. Es sei kein schönes Gefühl gewesen, das jahrelang mit ansehen zu müssen. «Wenn man einmal solche Strukturen in der Stadt hat, dann kriegt man die nicht einfach über Nacht mit einem Bündnis gegen rechts wieder aus der Stadt gejagt», sagt Wolf.

Die vier am Mittwoch Festgenommenen sollen der rechtsextremen Kampfsport-Gruppierung «Knockout 51» angehört haben. Sowohl Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) als auch Landesverfassungsschutzchef Stephan Kramer halten diese Gruppe für gefährlich. Sie habe in den vergangenen Wochen und Monaten versucht, «junge Leute in ihren Reihen im Straßenkampf auszubilden», sagte Kramer. Die Hemmschwelle, körperliche Gewalt einzusetzen, sei «extrem niedrig» geworden.

Trainiert haben die Rechtsextremisten teils im Eisenacher «Flieder Volkshaus» – der Zentrale der Thüringer NPD, die auch im Eisenacher Stadtrat sitzt. Laut Bundesanwaltschaft sollen «Knockout 51» versucht haben, in Eisenach einen «Nazi-Kiez» zu schaffen und sich dort als bestimmende Ordnungsmacht zu etablieren. Kramer sagt, Akteure dieser Gruppierung seien bei Kampfsportveranstaltungen aber auch bei Körperverletzungsdelikten aufgefallen. «Das war nicht nur ein bisschen Üben, sondern man hat schon sehr deutlich gesehen, dass diese Fähigkeiten, die dort gelehrt und ausgebildet wurden, auch in die Praxis umgesetzt worden sind.»

Immobilien wie das «Flieder Volkshaus» spielen nach Einschätzung der Rechtsextremismusexpertin der Thüringer Linke-Fraktion, Katharina König-Preuss, eine große Rolle für die Szene. Rechtsextremisten könnten diese Immobilien in Eisenach relativ unproblematisch nutzen, sagte sie. «Es stört einfach niemanden, wenn Neonazis dort sind.» Neben dem «Flieder Volkshaus» nennt König-Preuss noch die rechtsextreme Szenekneipe «Bull’s Eye» in Eisenach, das im Jahr 2019 zwei Mal Schauplatz von Überfällen wurde. Unter anderem wegen Angriffen auf die Kneipe und deren Gäste, muss sich Lina E. vor dem Oberlandesgericht Dresden verantworten. Auch hier geht es um den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung – auf der anderen Seite des politischen Extremismus, im linken Spektrum.

Nach Einschätzung der Thüringer Demokratieberater von Mobit ist Eisenach in den vergangenen zehn Jahren zu einem rechtsextremen Zentrum geworden von bundesweiter und internationaler Bedeutung für die Szene. Dabei hätten viele Menschen in der Stadt keine Berührungsängste zu ihnen. «Die Neonazis sind teilweise sehr gut in der Eisenacher Bevölkerung integriert», sagte ein Sprecher von Mobit.

«Knockout 51» ist dabei nicht die einzige rechtsextreme Gruppierung, die als gewaltbereit gilt. Im Zuge der Ermittlungen und Durchsuchungen vom Mittwoch werden nach Angaben der Generalbundesanwaltschaft 21 Menschen aus ganz Deutschland verdächtigt, trotz des Verbots von «Combat 18» den «organisatorischen Zusammenhalt im Geheimen als Rädelsführer aufrechterhalten zu haben».

«Combat 18» gilt vielen Beobachtern als der «bewaffnete Arm» des schon seit vielen Jahren verbotenen «Blood and Honour»-Netzwerkes und wurde im Jahr 2020 verboten.

«Man muss sich einfach klar machen, worum es «Combat 18» geht: Da geht es um einen bewaffneten Kampf gegen erklärte Feinde ihrer Ideologie», sagte König-Preuss. Der führende Kopf von «Combat 18» Deutschland wohne ebenfalls in Eisenach. Sie fordert auch das Verbot anderer rechtsextremer Gruppierungen – etwa der Artgemeinschaft, die ebenfalls in Thüringen aktiv ist.

Verfassungsschutz Kramer hält auch Verbindungen vom «Combat 18» zum «Nationalsozialistischen Untergrund» (NSU) für möglich. «Es geht hier durchaus auch um Bezüge noch zum NSU», sagte Kramer am Mittwoch. «Wir arbeiten also auch an älteren Verbindungen, die hier existieren.» Ziel sei es, Netzwerke aufzudecken und zu zerschlagen.

Die Neonazi-Terrorzelle NSU – Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt – war über Jahre mordend durch Deutschland gezogen.

Eisenachs Oberbürgermeisterin Wolf weiß, dass sich der Rechtsextremismus in ihrer Stadt mit einer großen Polizeiaktion nicht in Luft auflöst. «Das Problem für Eisenach ist nicht vom Tisch, auch die Wahlergebnisse der NPD, die mit vier Abgeordneten im Stadtrat sitzt, sind nicht vom Tisch», sagt sie. Dennoch hoffe sie, dass es zu Verurteilungen kommt – und ein Umdenken stattfindet. In der Neonazi-Szene ihrer Stadt sei es nicht nur um rechtsextremes Gedankengut gegangen, sondern um Umsturzfantasien und einen möglichen Rassenkrieg. Auch Politiker seien bedroht worden. Es gebe, sagt Wolf, nichts zu beschwichtigen oder zu verniedlichen.

 

 

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