Corona-Aufholprogramm: Kritische Zwischenbilanz der Verbände

Berlin (dpa) – Rund ein halbes Jahr nach dem Start des sogenannten Corona-Aufholprogramms für Schülerinnen und Schüler fällt die erste Bilanz von Bildungs- und Lehrerverbänden kritisch aus.

Zwar sei eine pauschale Einschätzung wegen unterschiedlicher Maßnahmen in den Bundesländern schwierig, sagte die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern, der Deutschen Presse-Agentur. «Mehrheitlich melden die GEW-Landesverbände jedoch zurück, dass die Maßnahmen offenbar nicht so fruchten wie geplant», fügte sie hinzu.

Finnern kritisierte, dass viele Angebote nicht die Kinder erreichten, die am meisten Unterstützung bräuchten, sondern diejenigen, «deren Eltern sich darum kümmern (können)». Sie erklärte das damit, dass Maßnahmen nicht im System Schule «angedockt» seien. Gelder flössen etwa in außerschulische Fördermaßnahmen und verfehlten so den Beitrag zur Chancengleichheit.

Wirkung von Ressourcen der Schulen abhängig

Der Vorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, sagte, eine Beurteilung der Wirkung des Programms sei noch nicht möglich, da es immer noch in der Entfaltung stecke. «Fakt ist, dass die Wirkung des Nachholprogramms maßgeblich dadurch bestimmt wird, wie sehr die einzelne Schule überhaupt Ressourcen hat, sich dem einzelnen Schüler, der einzelnen Schülerin zu widmen» Die jetzige Schülergeneration zahle verschärft durch Corona den Preis für eine über Jahre verfehlte Personalpolitik.

Ähnlich äußerte sich der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger: «Nach unseren Informationen beteiligt sich die große Mehrheit der Schulen an den Aufholfördermaßnahmen, allerdings gibt es auch einen Teil, der aufgrund beispielsweise einer enorm angespannten Personallage zu einer vollen Teilnahme nicht in der Lage ist.» Zweifel am Erfolg der Aufholmaßnahmen äußerte Meidinger auch, weil «die Freiwilligkeit der Fördermaßnahmen dazu führt, dass nicht wenige Kinder mit großen Lernlücken nicht erfasst werden».

Milliardenschweres Programm

Bundestag und Bundesrat hatten im Juni das Programm «Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche» in Höhe von zwei Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Der Bund überlässt den Ländern unter anderem Anteile aus der Umsatzsteuer, so dass sie zusätzliche Maßnahmen zur Lernförderung finanzieren, Sozialprojekte ausweiten und mehr kostenlose und günstige Freizeit-, Sport- und Erholungsangebote anbieten können. Die Lernförderung kann beispielsweise von Stiftungen, Vereinen, Initiativen, Volkshochschulen, pensionierten Lehrkräften, Lehramtsstudierenden und auch kommerziellen Nachhilfeanbietern übernommen werden. Die Bundesländer sollen dem Bund bis spätestens Ende März einen Zwischenbericht zur Umsetzung der Maßnahmen und Verwendung der Gelder vorlegen.

Am Montag kehren Schülerinnen und Schüler in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen und Rheinland-Pfalz nach der Weihnachtspause zurück in die Schulen, am Dienstag im Saarland und am Mittwoch in Hamburg.

Psychische Probleme – Vor allem Jüngere betroffen

Nach Ansicht der schleswig-holsteinischen Bildungsministerin Karin Prien, die im Januar die Präsidentschaft der Kultusministerkonferenz übernimmt, wird die Bewältigung der Corona-Folgen für viele Schüler Jahre dauern. Bei einem großen Teil hätten die Pandemie und Schulschließungen nicht nur zu Lerndefiziten, sondern oftmals auch zu psychischen oder psychosozialen Problemen geführt, hatte die CDU-Politikerin kürzlich gesagt. Tendenziell hätten Grundschüler damit stärkere Probleme als ältere Schüler. Betroffene bräuchten Hilfe. «Und das wird, da muss man sich nichts vormachen, eine Daueraufgabe»

Das sehen die Verbände ähnlich: «Angesichts der Probleme vor allem bei der personellen Ausgestaltung des Programms bin ich sehr skeptisch, ob trotz allen Engagements der Schulen die mit dem Programm verbundenen Erwartungen überhaupt erreicht werden können, solange in vielen Schulen nicht einmal die personelle Grundversorgung sichergestellt werden kann», sagte Beckmann. Er nannte Priens Einschätzung «vor diesem Hintergrund (…) sehr realistisch».

Lehrerpräsident ist skeptisch

Meidinger sagte: «Das wird mit Sicherheit kein Schnellläufer sein» Allerdings klinge das auch ein wenig so, als glaube die Politik selbst nicht an einen Erfolg ihrer Bemühungen, «den abgehängten Teil der Schülerinnen und Schüler in absehbarer Zeit an den normalen Lernstand heranzuführen». Gerade Abschlussjahrgänge und Kinder, die vor dem Wechsel auf eine weiterführende Schule stehen, hätten nicht «viele Jahre» Zeit, um den Anschluss zu schaffen.

Die ehemalige Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hatte im vergangenen Frühjahr in Vorbereitung des Aufholprogramms davon gesprochen, dass 20 bis 25 Prozent der Schüler «vermutlich große Lernrückstände» hätten.

 

 

 

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