Jeden Mittwoch um Viertel vor Vier

Lesen und schreiben lernen im Lerncafé 

Gute Laune stiftet der Materialkoffer für das Lerncafé: v. l. n. r. Dr. Ingrid De Los Angeles, Zora Eldrei, Rita Novaki, Annette Weinand.

Wittlich. Es ist ein großes Tabu und mit Scham behaftet: Deutschlandweit werden 7,5 Millionen Menschen oder 14,5 Prozent der Erwachsenen zu den sogenannten funktionalen Analphabeten gerechnet. Das sind Menschen, die eventuell Buchstaben und Zahlen, nicht aber ganze Sätze lesen oder schreiben können. Die Zahlen stammen aus einer Studie der Uni Hamburg von 2011, hängen also nicht mit der Flüchtlingswelle zusammen. Dies festzuhalten ist Rita Novaki wichtig. Die regionale Koordinatorin des Kompetenznetzwerkes Grundbildung Grubinetz überreichte zum Start des neuen Lerncafés im MehrGenerationenHaus MGH einen Koffer mit Spielen, Karten und Büchern in einfacher Sprache.

Das Material hilft jenen, die ihrer im Alltag extrem hinderlichen Wissenslücke den Kampf angesagt haben. Die meisten Betroffenen verheimlichen ihren Analphabetismus – bis er eines Tages doch auffällt. Oft geschieht dies am Arbeitsplatz, denn auch dies ist ein von der Studie widerlegtes Vorurteil: Obwohl sie nicht oder nur ansatzweise lesen können, gehen über 60 Prozent der Betroffenen einer Arbeit nach. Im digitalen Zeitalter wird dies allerdings zunehmend schwerer. Zeiterfassungspflichten und Dokumentationszwänge betreffen weite Teile des Erwerbslebens. Ähnlich erging es auch Zora Eldrei, einer seit 33 Jahren in Deutschland lebenden, aus Marokko stammenden dreifachen Mutter.

„Ich spreche viele Sprachen“, erzählt die quirlige Frau: „berber, hocharabisch, marokkanisches arabisch, früher auch fließend französisch, und jetzt deutsch.“ Schreiben kann sie jedoch keine dieser Sprachen. Nie hat sie eine Schule besucht, die deutsche Führerscheinprüfung mit technischen Hilfsmitteln absolviert, die – wie beispielsweise ein Navi – über das gesprochene Wort funktionieren, bei amtlichen Erledigungen oder Arztbesuchen standen ihr über Jahrzehnte die Kinder zur Seite. „Die sind jetzt alle aus dem Haus“, lacht Zora Eldrei, „Ich habe keine andere Lösung mehr: Jetzt muss ich einfach selbst lesen lernen!“

Sie wird es schaffen, kommt regelmäßig, fordert sich Hausaufgaben ein und ist Feuer und Flamme für ihr Vorhaben, wovon ein beeindruckendes Sortiment Bücher und Arbeitshefte auf ihrem Tisch zeugt, finanziert aus der eigenen Tasche. Denn das Lerncafé ist ein offenes Angebot mit individuellen, am Bedarf ausgerichteten Fördermöglichkeiten. Manche kommen immer, manche kommen gezielt mit konkreten Problemen. Im MGH ist der Kurs genau richtig angesiedelt, findet Annette Weinand. „Wie viele unserer Angebote ist auch dieses bewusst offen,  niedrigschwellig und für die Teilnehmer kostenlos konzipiert“, sagt sie. Unterrichtssprache ist deutsch.

Kommen kann, wer seine Lese- und Schreibkenntnisse verbessern möchte, ob mit, ob ohne Migrationshintergrund.  Kursleiterin ist Dr. Ingrid De Los Angeles, die bereits den Alphabetisierungskurs der Volkshochschule leitete, den Zora Eldrei besuchte. Im Landkreis besteht seit April ein Arbeitskreis Grundbildung, in dem Kinderschutzbund, Volkshochschule, Stadtbücherei, Jobcenter, Agentur für Arbeit, Caritasverband und mit der Bildungskoordinatorin für Neu-Zugewanderte Julia Schmitt auch die Kreisverwaltung vereint sind. Interessenten am Lerncafé können sich mit Fragen an jede dieser Stellen wenden. Termin: mittwochs ab 15:45 Uhr im MGH, Wittlich, Kurfürstenstr. 10.

 

 

 

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