Professor Helmut Erich Willems aus Gillenfeld – Soziologe und Jugendforscher

 

Als Helmut Willems 1954 in Gillenfeld zur Welt kam, war die dörfliche Welt in der Eifel noch geprägt von bäuerlichen Kleinbetrieben, von Armut und Abgeschiedenheit. Und knapp zehn Jahre nach dem zweiten Weltkrieg waren auch die Spuren des Krieges noch unübersehbar: kaum eine Familie die nicht einen Sohn, Bruder oder Vater verloren hatte; auch bei ihm zuhause hing das Bild eines jungen Soldaten namens „Helmut“ an der Wand, der niemals aus dem Krieg zurückgekommen war. Und die Generation der jungen Eltern in den 50er Jahren hatte ihre Jugend im Nationalsozialismus und Krieg verloren und oft eigene berufliche Ziele und Bildungsinteressen den familialen Zwängen opfern müssen. Seine Mutter durfte nicht mit einem staatlichen Stipendium aufs Gymnasium nach Wittlich, weil ihr Vormund – ein entschiedener Gegner des Regimes- „nichts von den Nazis“ haben wollte. Und weil der ältere Bruder nicht „aus dem Krieg zurückkam“, musste sein Vater eine Lehre als Handelskaufmann abbrechen und den bäuerlichen Betrieb weiterführen. So war auch der berufliche Weg von Helmut Willems zunächst in der bäuerlichen Landwirtschaft geplant, bis in den späten sechziger Jahren die Strukturreform der Landwirtschaft mit der Tendenz zu großen Aussiedlerhöfen den kleinbäuerlichen Betrieben in der Eifel die Zukunft nahm.

Für die dadurch freigesetzten Jungen und Mädchen, die meist nur den Hauptschulabschluss hatten, gab es in der Eifel nicht viele Alternativen. Viele gingen als ungelernte Arbeiter in die Fabriken der näheren Umgebung oder zogen gleich ganz aus der Eifel in den industrialisierten Kölner Raum. Andere gingen zur Lehre und wurden Handwerker und Meister. Für einige wenige „Spätberufene“ gab es dann die Möglichkeit, nach dem achten Hauptschuljahr und nach Bestehen einer Aufnahmeprüfung noch das Staatliche Aufbaugymnasium in Daun zu besuchen. Eine wunderbare Chance und große Weichenstellung im Leben von Helmut Willems, der dort 1974 sein Abitur ablegte.

Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die gesellschaftliche Realität und auch die Situation in der Eifel bereits massiv verändert. Radio und Fernsehen hatten die Welt zu „einem grossen Dorf“ werden lassen, in dem globale Entwicklungen, Veränderungen und Probleme in den Alltag eines Jeden einzogen. Zugleich hatte der Vietnamkrieg die westlichen Demokratien in eine tiefe Krise gestürzt, und die Proteste der Studentenbewegungen hatten auch in Deutschland bestehende gesellschaftliche Strukturen und Traditionen in Frage gestellt.

Als Kind dieser Zeit und gepackt von der Vorstellung, gesellschaftliche Reformen und Veränderungen besser verstehen und mitgestalten zu wollen, fand Helmut Willems sich ab 1975 an der Universität Frankfurt wieder, wo er zum Erstaunen seiner Familie Soziologie studierte. Frankfurt war damals der Ort, wo mit Horkheimer, Adorno und später auch Habermas die großen theoretischen Vordenker der modernen Soziologie und einer modernen liberalen Gesellschaft zuhause waren. Schnell entwickelte sich aber in ihm die Vorstellung, dass es zur Veränderung von Gesellschaft nicht nur gute Theorien brauchte, sondern auch wissenschaftlich erhobene Daten, die verlässlich Auskunft geben konnten über den Zustand der Gesellschaft und der Menschen. Schon in seiner Doktorarbeit 1988 an der Universität Trier über Jugendproteste in Europa sammelte er systematisch Daten und Informationen, um besser zu verstehen, warum insbesondere junge Menschen sich gegen bestimmte Entwicklungen der modernen Gesellschaft wandten und warum sie protestierten. Später widmete er sich der Frage nach der Gewaltbereitschaft und dem zunehmenden Rechtsextremismus unter Jugendlichen. Das Interesse an diesen Daten war in der Wissenschaft, der Politik und auch in der breiten Öffentlichkeit stark ausgeprägt. Es folgten Jahre voller Vorträge, Einladungen, Präsentationen und politischer Beratungen, die ihn als wissenschaftlichen Experten für Jugend-, Gewalt- und Extremismusforschung auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene bekannt machten.
Nach einem Aufenthalt als John F. Kennedy Memorial Fellow an der Harvard Universität in Cambridge/USA wurde er 1995 Abteilungsleiter für Jugend und Politik am Deutschen Jugendinstitut in München, wo er mit seinen wissenschaftlichen Studien einen Beitrag zum „evidence based decision making“ in Politik und Praxis der Bundesrepublik Deutschland leistete. Ab 2003 war er als Jugendforscher auch in Luxemburg aktiv, und 2006 wurde er Professor für Soziologie und Jugendforschung an der neu gegründeten Universität Luxemburg. Hier hat er über 15 Jahre Verantwortung getragen für die nationalen luxemburgischen Jugendberichte, die alle fünf Jahre vom Jugendminister dem Parlament des Landes vorgelegt werden müssen und die Auskunft über die Situation und Befindlichkeit der Jugendlichen geben sollen. Hier hat er sich auch umfassend auseinandergesetzt mit den Bildungsaufgaben und -strukturen des Landes, und inbesondere mit der wachsenden Bedeutung der nonformalen, außerschulichen Lern- und Bildungsprozesse von Kindern und Jugendlichen in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts.

Ab Herbst 2022 wird er als Senior Professor weiter an der Universität Luxemburg zu diesen Themen arbeiten. Zugleich hat er jedoch ebenfalls seit diesem Jahr mit der Beratung und Unterstützung der Junior Uni Daun begonnen, und damit einen Schritt zurück und nach vorne zugleich getan: zurück in die Eifel, wo für ihn alles begann, und nach vorne in eine neue Bildungszukunft, die die Junior Uni Daun als neues und freies Bildungsangebot für die junge Generation von Kindern und Jugendlichen in der Eifel darstellen kann.

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