Mosche Wallach

– Arzt in Jerusalem aus Euskirchener Familie

203_wallach_37_14Was für eine ungewöhnliche Ehre: Im Jahr 1995 begann der israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin sein Grußwort zur Eröffnung der Feierlichkeiten „3000 Jahre Jerusalem“ mit einem unerwarteten persönlichen Bekenntnis darüber, was ihm Jerusalem bedeutet: „Mein Jerusalem: Das ist Dr. Mosche Wallach aus Deutschland …”Wer war dieser Arzt aus Deutschland, den der im so genannten “Wallach-Krankenhaus” geborene Staatsmann Rabin so stark hervorhob? Mosche (englisch: Moshe; eigentlich: Moritz) Wallach kam 1866 in Köln als Sohn eines eifeljüdischen Ehepaares zur Welt. Sein Vater Josef Wallach stammte aus Euskirchen, seine Mutter Marianne Levy aus Münstereifel. Hans-Dieter Arntz, der verdienstvolle Erforscher eifeljüdischer Geschichte, wies darauf hin, dass die väterliche Familie Wallach schon seit vielen Generationen in Euskirchen lebte, ehe sich der streng religiös lebende Kaufmann Josef Wallach als Tuchhändler in Köln niederließ. Von dem sich im 19. Jahrhundert ausbreitenden liberaleren Reformjudentum hielt Vater Wallach nicht viel. Er schloss sich der orthodoxen Gegenbewegung Adass Jeschurun an; sein Sohn stand ihm in dieser religiösen Haltung sein Leben lang nahe. Moritz Wallach studierte Medizin in Berlin und Würzburg und promovierte mit einer 1890 veröffentlichten Studie zum Melanosarkom. Kurz darauf entschloss sich der Jungmediziner zur Übersiedlung in das damals türkisch-osmanisch beherrschte Palästina. Im markanten Gegensatz zu dem sich wenige Jahre später organisierenden politischen Zionismus war sein Beweggrund dabei nicht, zum Aufbau eines zukünftigen jüdischen Staates beizutragen. Im Vordergrund stand bei Dr. Wallach vielmehr das humanitäre Anliegen, der medizinisch extrem unterversorgten Bevölkerung zu helfen; hinzu kam der religiös verwurzelte Gedanke einer besonderen Verbundenheit mit dem Land der Vorväter.

Mit Hilfe von gleichgesinnten Gönnern gelang es Dr. Wallach und seinen Mitarbeitern, 1902 in Jerusalem das Shaare Zedek Hospital zu eröffnen. Mosche Wallach wurde erster Direktor dieses in vielerlei Hinsicht pionierhaften Krankenhauses und füllte diese Position in unermüdlichem Einsatz 45 Jahre lang aus. In diesen Jahrzehnten radikaler Veränderungen in Palästina wurde er über Jerusalem hinaus zu einer berühmten, ja geradezu legendären Persönlichkeit. Zu den eigentümlichen Merkmalen des “Wallach-Krankenhauses” gehörten die konsequente Ausrichtung an den jüdisch-religionsgesetzlichen Vorschriften etwa hinsichtlich der Speisegesetze oder der Sabbatruhe, ferner der hoch entwickelte soziale Geist sowie die Anwendung moderner medizinischer Methoden insbesondere bei der Bekämpfung der bedrohlichen Epidemien. Das Krankenhaus stand jüdischen und nichtjüdischen Patienten offen, bedürftige Patienten wurden kostenlos behandelt und sozial unterstützt, was Dr. Wallachs Ruf als uneigennütziger Wohltäter weiter förderte. Maßgeblich unterstützt wurde er über viele Jahrzehnte von der kaum minder legendären Krankenschwester Selma Mair (1884-1984), die 68 Jahre am Shaare Zedek Hospital arbeitete. Bei der Schilderung der Persönlichkeit Dr. Wallachs werden einerseits sein preußisch anmutendes Arbeitsethos und sein bisweilen schroffes Auftreten, andererseits seine aufopferungsvolle Menschlichkeit hervorgehoben. Ein Beispiel für Letzteres sind die von Verena Wulf – Verfasserin einer Dissertation über Dr. Wallach – jüngst ans Licht gebrachten Briefe Wallachs, in denen er erfolgreich bei der berühmten Spielwarenproduzentin Margarethe Steiff anfragte, ob sie Teddybären und andere Kuscheltiere für die Kinderpatienten des Wallach-Krankenhauses schicken könne.

Das Wirken von Mosche Wallach war wesentlich von seiner Religiösität geprägt. Mit dem politischen Zionismus konnte er sich dagegen kaum anfreunden. Die Tatsache, dass der von ihm geschätzte Schriftsteller de Haan, politischer Sprecher der Ultraorthodoxen, 1924 einem zionistisch motivierten Anschlag zum Opfer fiel, dürfte seine Sympathien nicht gerade verstärkt haben. Grundlegend näher standen ihm strenggläubige Rabbiner wie Y. C. Sonnenfeld (1848-1932) oder Y. T. Dushinsky (1867-1947); nicht wenige dieser Torahgelehrten wählten Dr. Wallach zu ihrem Leibarzt. Das Ansehen, das Mosche Wallach genoss, überstieg allerdings weit die Grenzen politischer, religiöser oder ethnischer Spaltungen. Dies zeigte sich in seinem Umgang mit Vertretern aller Richtungen – und nicht zuletzt in der Auszeichnung als Ehrenbürger Jerusalems. Untypisch für einen orthodoxen Juden war der biographische Umstand, dass Dr. Wallach unverheiratet blieb. Öfters wird das damit erklärt, dass er sich ausschließlich seinem ärztlichen Wirken habe widmen wollen. Erstaunlicherweise glich er auch insofern seinem Münstereifler Landsmann F. J. Haas, dem „heiligen Doktor von Moskau“. Und wie einst bei der Beerdigung von Friedrich Joseph Haas in Moskau, so erwies auch in Jerusalem eine gewaltige Menschenmenge dem hoch verehrten Arzt und Wohltäter Dr. Wallach bei dessen Beisetzung im April 1957 die letzte Ehre.

Verfasser: Gregor Brand

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