Hermann Graf von Neuenahr der Jüngere

Reformationspolitiker aus Eifler Adelsgeschlecht

211_von_neuenahr_45_14Wieder einmal führt uns der Blick ein halbes Jahrtausend zurück ins 16. Jahrhundert – das Zeitalter der Reformation. Als damals zum alles dominierenden römischen Katholizismus die Lehren Luthers, Calvins und anderer Reformatoren als geschichtsbestimmende Mächte hinzutraten, rückte der erbitterte Kampf um den richtigen Christenglauben in den Brennpunkt des Geschehens. Mit militärischer Gewalt, oft aber auch durch diplomatische Schach- und Winkelzüge, Heiratspolitik oder auf anderen Wegen wurden Weichen für die europäische Zukunft gestellt. Eine der markantesten deutschen Persönlichkeiten jener Zeit war Hermann Graf von Neuenahr, der – um ihn von seinem ebenfalls berühmten gleichnamigen Onkel zu unterscheiden – üblicherweise als „der Jüngere“ bezeichnet wird. Sein Zeitgenosse Johann Weyer – bekannt als Kritiker der Hexenverfolgung – hielt Graf Hermann den Jüngeren für „einen der belesensten, bestunterrichteten und scharfsinnigsten Fürsten Deutschlands“; mit dieser Beurteilung stand er keineswegs allein.

Bis heute ist der Geburtsort des wohl 1520 geborenen Grafen Hermann nicht sicher bekannt. Als Geburtsstadt wird bisweilen Köln vermutet, in Betracht kommen aber auch andere Orte von der Eifel bis zum Niederrhein. Keine Zweifel gibt es an Hermanns Abstammung, die auf vielfache Weise mit der Eifel verbunden ist. Auch wenn Hermanns Vater, der kurkölnische Erbhofmeister Graf Wilhelm II. von Neuenahr (1497–1552) durch die Heirat mit Gräfin Anna von Wied (1500–1528) in der Besitz der Grafschaft Moers gekommen war und andere außereiflerische kleinere Territorien beherrschte, so lag das Stammland dieser Grafenfamilie doch an der Ahr; noch tiefer in die Eifel führte die Herkunft von Hermanns Großmutter Walburga von Manderscheid. Graf Hermann selbst war mit Gräfin Magdalena von Nassau-Dillenburg verheiratet; die Ehe blieb kinderlos.

Die Verwandtschaftsbeziehungen zu so wichtigen Adelsfamilien wie den Herren von Manderscheid, Nassau oder Wied halfen beim Aufstieg Graf Hermanns. Zugute kamen ihm aber auch seine Klugheit und weit überdurchschnittliche Bildung. Schon sehr früh trat der junge Hermann durch seinen Onkel, den eingangs erwähnten Humanisten und Gelehrten Hermann Graf von Neuenahr den Älteren, in Verbindung mit vielen zeitgenössischen Intellektuellen. Sprachenkundig und kulturell hoch interessiert konnte der Adlige mit ihnen in geistigen Austausch auf gleicher Ebene treten und sich deren Hochachtung sichern. Zum intellektuellen Rüstzeug kam das militärische hinzu. Graf Hermann diente in der kaiserlichen Armee Karls V.; auch später war sein Verhältnis zu Kaiser Karl und seinem Nachfolger trotz aller Differenzen in Glaubensfragen durchweg gut.

Als Hermann 1552 nach dem Tod seines Vaters Herr der Grafschaft Moers und der Herrschaft Bedburg wurde, war er also nach Lebenslauf und Befähigung exzellent darauf vorbereitet. Seine Tatkraft richtete sich nun einerseits auf die Sicherung der materiellen Lebensbedingungen seiner Untertanen. Diese hatten am Niederrhein immer wieder mit Überflutungen des Rheins zu tun; viele Maßnahmen Graf Hermanns galten diesem existenziellen Problem. Sein zweites Hauptanliegen bestand darin, die protestantische Sache zu fördern. Obwohl er in seinem Herrschaftsbereich relativ behutsam und moderat vorging, sah der päpstliche Nuntius in dem feinsinnigen aristokratischen Humanisten nach der angeordneten Auflösung einiger Klöster einen der gefährlichsten Häretiker. Von einer radikal antikatholischen Einstellung Hermanns waren jedoch keineswegs alle seiner Zeitgenossen überzeugt.

Der spanische Theologe Frater Lorenzo de Villavicencio (1501–1581) beispielsweise schrieb an seinen Herrn, den erzkatholischen Habsburgerkönig Philipp II. (1527–1598), über Graf Hermann: „Wenn er es mit Katholiken zu tun hat, ist er in Wort und Tat Lutheraner. Wenn er es mit Lutheranern zu tun hat, ist er in gleicher Weise Katholik. Und wenn er betrunken ist, glaubt er weder an Gott noch an den Teufel.“ Wenn diese Angabe zutreffend war, dann muss Graf Hermann oft Atheist gewesen sein, denn er neigte dem Alkohol stark zu. Manche Historiker bringen auch sein langwieriges Gichtleiden mit dem „Saufteufel“ – wie man das damals so verbreitete Laster nannte – in Verbindung. Graf Hermann ließ sich jedoch bis zuletzt von seinen Gebrechen nicht davon abhalten, immer wieder kraftvoll in die Politik einzugreifen. Noch 1577, ein Jahr vor seinem Tod und bereits auf die Hilfe von Sänftenträgern angewiesen, verhinderte er die Wahl des strengkatholischen Herzogs Ernst von Baiern zum Kölner Kurfürsten und trug maßgeblich zu der des toleranteren – und bald zum Protestantismus übertretenden – Gebhard Truchsess zu Waldburg bei. Nach Hermanns Tod setzte sein Nachfolger Adolf von Neuenahr in der Grafschaft Moers endgültig die calvinistische Konfession durch, mit der auch sein Vorgänger Graf Hermann sympathisiert hatte.
Verfasser: Gregor Brand

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