EAZ-Interview mit Kai Boeddinghaus

Kai Boeddinghaus

Das klare Urteil des Bundesverwaltungsgericht aufgrund einer Klage gegen die IHK Kassel, die sich in einem „industriepolitischen Grundsatzpapier“ zu Fragen der Bildungs- und Energiepolitik ausführlich gemeinsam mit den anderen hessischen IHKn geäußert hatte, hat für reichlich Interesse gesorgt. Insbesondere die Voten für Atomkraft und Studiengebühren waren für bffk-Geschäftsführer Kai Boeddinghaus Anlass für seine Klage. Die Eifel-Zeitung hat mit dem Kläger ein Interview gemacht. Lesen Sie hier, was Kai Boeddinghaus sagt:

EAZ: Herr Boeddinghaus, in der vergangenen Woche endete Ihr Prozess gegen die IHK Kassel vor dem Bundesverwaltungsgericht. Wobei ging es in dieser Klage?

Boeddinghaus: Die IHK Kassel hat gemeinsam mit den anderen hessischen Industrie- und Handelskammer im Jahr 2004 ein sogenanntes „industriepolitisches Grundsatzpapier“ veröffentlicht. An der Entstehung dieses Papieres wurden die Kammergremien erst gar nicht beteiligt. In diesem Papier fanden sich etliche Äußerungen zum Thema Bildung und Energiepolitik, die aus meiner Sicht allgemeinpolitischer Art waren. Allgemeinpolitische Äußerungen dürfen die Kammern aber nicht machen.

EAZ: Wie ist das Verfahren ausgegangen?

Boeddinghaus: Nach sechs Jahren durch drei Instanzen hat die IHK Kassel verloren. Bemerkenswert bei diesen Verfahren ist ja, dass die Kammern mit unserem Geld, mit unseren Mitgliedsbeiträgen sich regelhaft durch alle Instanzen klagen. Die kennen da keine Kostenprobleme.

EAZ: Nun gibt es aber Pressemitteilungen des DIHK und der IHK Kassel, in denen ausdrücklich ein positives Statement zum Ausgang des Verfahrens abgegeben wird. Wie passt das zu Ihrer Aussage, Sie hätten das Verfahren gewonnen?

Boeddinghaus: Nun, zunächst ist die Lage eindeutig. Es gab beim Bundesverwaltungsgericht vier Anträge. Zwei der IHK Kassel und zwei von mir. Meinen Anträgen wurde stattgegeben, die Anträge der IHK Kassel wurden abgelehnt. Wie weit die Einschränkungen hinsichtlich der Öffentlichkeitsarbeit der Kammern gehen werden, wird erst mit der schriftlichen Begründung bewertet werden können. Dass es aber Einschränkungen und Klarstellungen geben wird, wo es vorher keine gab, dass ist mit dem Urteil offensichtlich.

Kai Boeddinghaus
Kai Boeddinghaus

EAZ: Welche Einschränkungen sind dies?

Boeddinghaus:  Zwei Punkte sind aus meiner Sicht von zentraler Bedeutung. Da ist zum Einen die Verpflichtung, dass die Kammern vor der Abgabe von Stellungnahmen tatsächlich die Kammergremien mit diesen Themen befassen müssen. Stellungnahmen „im Namen der Wirtschaft“, die Kammerfunktionäre mal eben aus der Hüfte abgeben, dürften mit diesem Urteil der Vergangenheit angehören. Ein zweiter Punkt ist das Gebot der Mäßigung und Objektivität. Wenn man so manche Stellungnahme der Kammern liest, in der politische Pläne als „Wahnsinn“ bezeichnet werden, oder Minister aufgefordert werden, Bürgerentscheide zu übergehen, weiß man, dass auch eine solche Vorgabe ihre Bedeutung gewinnen wird.

EAZ: Sie sind also rundum zufrieden mit dem Urteil?

Boeddinghaus:  Nein, ganz sicher nicht. Aus meiner Sicht fasst das Bundesverwaltungsgericht den Begriff dessen, was von wirtschaftlichem Interesse ist viel zu weit. Das hat zur Folge, dass eine notwendige auch inhaltliche Einschränkung der Kammern noch zu kurz greift. Die IHK Kassel hat es sich einfach gemacht. Sie hat den Menschen zum „Humankapital“ erklärt. Kapital ist Wirtschaft, zu Wirtschaft darf man sich äußern, also auch zu allem menschlichen. Hier wird es weitere Einschränkungen geben müssen.

EAZ: Nun erklären die Kammern ja immer, sie handelten im Gesamtinteresse der regionalen Wirtschaft. Was sagen Sie dazu?

Boeddinghaus:  Ich halte die Vorstellung, es gäbe so etwas wie ein Gesamtinteresse der Wirtschaft für eine Illusion. Ein solches Gesamtinteresse gibt es weder quantitativ, noch qualitativ, noch im Hinblick auf die regionale Vertretung. Welches gemeinsam Interesse soll ein Kleinstgewerbetreibender (z.B.  gewerbesteuerpflichtiger Verein) mit einem Milliardenunternehmen haben? Im Hinblick auf die Branchenvielfalt ist die Distanz zwischen einzelnen Gewerbetreibenden zuverlässig mittlerweile übergroß geworden. Wer erklärt bekommen möchte, wo die gemeinsamen Interessen des Windkraftunternehmers (womöglich in einer breit gestreuten Genossenschaft) mit einem Energiekonzern liegen sollen, der AKWs betreibt, bekommt keine vernünftige Antwort. Es gibt dieses Gesamtinteresse aber auch nicht im Sinne des gesetzliche vorgeschriebenen Regionalbezuges. In einem Europa der Regionen und des Internets ist eine Verpflichtung der Vertretung von wirtschaftlichen Gesamtinteressen regionaler Kammerbezirke, die sich an Landmarken und den Grenzen alter Fürstentümer orientieren, anachronistisch. Dazu kommt, dass die Verpflichtung, mit Filialbetrieben auch Mitglied in mehreren Kammerbezirken sein zu müssen, dazu führt, dass ein Hotelier womöglich hinnehmen muss, dass in einem „seiner“ Kammerbezirke der Mehrwertsteuersenkung das Wort geredet wurde, während es in einem anderen, wo er eben auch Mitglied sein muss, abgelehnt wurde.

EAZ: Welche unmittelbaren Konsequenzen hat das Urteil?

Boeddinghaus: Nun zunächst darf die IHK Kassel dieses industriepolitische Grundsatzpapier nicht mehr verbreiten. Auf den Internetseiten der IHK Frankfurt findet sich ein diesbezüglicher Hinweis auch schon nicht mehr. Im Hinblick auf die Stellungnahmen anderer Kammern wird es nun in Zukunft immer die Möglichkeit geben, zu prüfen, ob in dem Kammerbezirk tatsächlich das Gesamtinteresse ausgleichend und abwägend ermittelt wurde und ob die Kammergremien damit befasst waren. Ggf. muss eine IHK sich diesbezüglich auch auf Nachfrage rechtfertigen. Das wird in der Praxis den Mitteilungsdrang so manches Kammerfürsten einschränken.

EAZ: Danke für das Gespräch!

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