Lützerath: NRW-Innenminister verteidigt Polizei-Einsatz

Erkelenz (dpa) – Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) hat die Polizei gegen den Vorwurf unverhältnismäßiger Gewaltanwendung bei der Anti-Kohle-Demonstration am Samstag nahe Lützerath in Schutz genommen. Die Polizei habe «hochprofessionell» gearbeitet, sagte Reul am Sonntagabend in der ARD-Talkshow «Anne Will».

Er werde jeden Fall von unangemessener Polizeigewalt untersuchen lassen. «Wir haben ein, zwei Filme im Netz gesehen, wo wir sagen: «Das sieht nicht gut aus.» Das werden wir uns genau anschauen, da haben wir auch Strafanzeige gestellt vorsichtshalber, weil ich finde, das muss gecheckt werden. Das habe ich die letzten Jahre immer gemacht, und das wird auch jetzt so gemacht.»

Luisa Neubauer: Polizeieinsatz «unverhältnismäßig gewalttätig»

Es sei aber nicht so, als wären bei der Demo massenhaft «wild gewordene Polizisten» unterwegs gewesen. Von den Veranstaltern der Demo hätte er sich gewünscht, sich klar von Gewalt zu distanzieren, aber das sei nicht geschehen.

Klimaaktivistin Luisa Neubauer widersprach dem und warf der Polizei in der Sendung einen unverhältnismäßig gewalttätigen Einsatz vor. «Das sah in keiner Weise professionell aus», kritisierte sie. Neubauer verwies darauf, dass nach Angaben einer Sanitäterin der Demonstranten viele Menschen von der Polizei schwer verletzt worden seien. Der Protest dagegen sei friedlich gewesen. Die Demonstration hatte sich gegen den Abriss des Dorfes Lützerath westlich von Köln und das Abbaggern der darunter liegenden Kohle gerichtet.

Die Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang verteidigte erneut die Linie ihrer Partei bei der Räumung. «Das war für mich persönlich kein einfacher Kompromiss, ich glaube, für viele aus meiner Partei», sagte sie im ARD-«Morgenmagazin». Es sei aber ein Zeichen von Stärke, dass man es sich als Partei nicht einfach mache.

Wasserwerfer, Schlagstöcke, Pfefferspray

Am Rande der Großdemo hatten laut Polizei rund 1000 großenteils vermummte «Störer» versucht, auf das abgesperrte Gelände von Lützerath vorzudringen. Die Polizei setzte Wasserwerfer, Schlagstöcke und Pfefferspray gegen sie ein. Zwölf Personen wurden fest- oder in Gewahrsam genommen. Nach Polizei-Angaben wurden neun Aktivisten mit Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht. Eine Sprecherin des Sanitätsdienstes der Demonstranten hatte aber gesagt, es sei eine «hohe zweistellige bis dreistellige Zahl» von Teilnehmern verletzt worden.

Nach Einschätzung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist die Räumung weitgehend so gelaufen wie erwartet. Allerdings hätten die Wetterbedingungen mit Dauerregen und tiefem Morast den Einsatz erschwert, sagte Andreas Roßkopf, Vorsitzender des GdP-Bezirks Bundespolizei, der Deutschen Presse-Agentur. Für ihn sei unverständlich, dass es friedliche Teilnehmer nicht geschafft hätten, «sich von den gewalttätigen Teilnehmern zu distanzieren». Dies habe es den Polizisten und Polizistinnen erschwert, «hier angemessen einzuschreiten». Insgesamt hätten die Einsatzkräfte mit Besonnenheit und «dem nötigen Augenmaß» agiert.

Aktivisten harren weiter in Tunnel aus

Im nahezu geräumten Protestdorf blieb es in der Nacht zum Montag ruhig. Nach wie vor sind zwei Aktivisten in einem Tunnel, wie ein Sprecher von RWE am Montagmorgen sagte. Man sei in Kontakt mit ihnen. Derweil laufe der Rückbau weiter und sei bereits «weit fortgeschritten».

Die Polizei schloss am Sonntag die Räumung ab. Die meisten Gebäude waren am Sonntag schon abgerissen – darunter der Bauernhof des letzten Landwirts von Lützerath. Wann die beiden Aktivisten im Tunnel herausgeholt werden können, war nach Angaben von RWE am Sonntag noch unklar. Die Werkfeuerwehr übernahm die als «Rettung» bezeichnete Aktion.

Die Polizei teilte am Abend mit, dass auch die insgesamt 35 «Baumstrukturen» sowie knapp 30 Holzkonstruktionen in Lützerath geräumt worden seien. Knapp 300 Personen seien aus Lützerath weggebracht worden, wobei es zu vier Widerstandshandlungen gekommen sei. Seit Beginn der Räumung seien 154 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Mehr als 70 Polizistinnen und Polizisten seien seit Beginn des Räumungseinsatzes verletzt worden. Ein Sprecher hatte am Sonntag aber gesagt, dass die Verletzungen nur zum Teil auf Gewalt durch Demonstranten zurückgingen.

RWE geht davon aus, dass der Abriss von Lützerath schon bald abgeschlossen sein wird. Man erwarte, dass der Rückbau noch acht bis zehn Tage dauere, sagte ein Sprecher der «Rheinischen Post» (Montag). «Im März oder April könnte der Tagebau dann das frühere Dorf erreichen und abbaggern.» Bis zum Ende des Rückbaus wolle die Polizei vor Ort bleiben.

Weitere Klima-Proteste

Derweil protestierten Klimaaktivisten in der Gegend weiter mit Aktionen gegen den Braunkohleabbau. Im rund 20 Kilometer entfernten Tagebau Hambach wird seit den frühen Morgenstunden ein Schaufelradbagger besetzt, wie ein RWE-Sprecher am Montag mitteilte. Außerdem seilten sich Klimaaktivisten in Rollstühlen von einer Autobahnbrücke bei Lützerath ab.

Der Bagger im rheinischen Braunkohlerevier habe den Betrieb eingestellt, sagte ein RWE-Sprecher. Es seien insgesamt vier Menschen auf dem Bagger. Die Polizei sei informiert.

Nach Angaben der Protestgruppe «Gegenangriff – für das gute Leben» haben acht Aktivisten den Bagger besetzt. Mit der Aktion wolle man sich mit den Menschen im Dorf Lützerath solidarisch zeigen. Zudem kritisierte die Gruppe das dortige Vorgehen der Polizei und forderte die Vergesellschaftung der Energieproduktion.

Gut vier Kilometer Luftlinie von Lützerath entfernt seilten sich außerdem Klimaaktivisten von einer Autobahnbrücke ab. Es handle sich um zwei Personen im Rollstuhl, sagte ein Polizeisprecher. Der Verkehr auf der Autobahn 44 darüber laufe derzeit, auf der Landstraße unter der Brücke gehe dagegen nichts mehr.

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