Neues Sozial- & Betreuungszentrum am Bundeswehr-Standort Daun

Daun. Hauptfeldwebel Nico H. erinnert sich noch gut an sein Problem: „Ich bin aus der Praxis gekommen und hab gedacht: zum Therapeuten? Wie soll ich den denn finden? Und was sage ich am Telefon?“ Der 34-Jährige war zum Arzt gegangen, weil er sich wochenlang niedergeschlagen fühlte und sein Herz raste. Der Arzt überwies ihn zum Therapeuten. Den Überweisungsschein löste H. nie ein. Stattdessen setzte er sich weiterhin der Arbeitsbelastung und dem Stress des Schichtdienstes aus. Bis ihn eines Tages eine Panikattacke während des Dienstes zusammenklappen ließ: Er rutschte vom Stuhl und wurde kurz ohnmächtig. Es folgte eine psychosomatische Kur.

Der Truppenarzt Pierre Kretschmer erlebt es immer wieder, dass  Soldaten erst bei ihm landen, wenn es schon schlimm um sie steht. „Die Zahl der psychischen Erkrankungen hier am Standort ist auffallend hoch“, berichtet er. Der Fernmeldeaufklärungsabschnitt 931 hat den Auftrag, zum Schutz der Soldaten im Einsatz beizutragen. Dazu werten sie Funkgespräche aus  und erstellen Lageberichte. Die Soldaten, Beamten und Angestellten sind an 365 Tagen im Jahr nah dran am Krieg. Dazu kommt der Schichtdienst. Eine Doppelbelastung, die vielen zusetzt. Nicht alle werden krank, aber den Druck spüren die meisten, sagt der Truppenarzt.

„Beratungsangebote gibt es in der Bundeswehr genug“, sagt Militärpfarrer Friedemann Schmidt. „Das Problem ist nur: Wie erreichen diese Angebote die Betroffenen?“ Der für den Standort Daun zuständige Truppenpsychologe sitzt in  Köln, die  Sozialarbeiterin in Düsseldorf, der Militärpfarrer pendelt zwischen zwei Dienststellen in Büchel und Daun, das Familienbetreuungszentrum befindet sich im 70 Kilometer entfernten Euskirchen. „Oft wissen Hilfesuchende nicht, wer zuständig ist“, sagt der Militärpfarrer. Die Folge: Die Betroffenen müssen rumtelefonieren. Und auch für die Betreuungsstellen fällt zusätzliche Arbeit an, wenn sie Anfragen beantworten und weiterleiten müssen,  für die sie eigentlich nicht zuständig sind.

Auch  Angehörige leiden unter der  Situation. „Mit fremden Leuten am  Telefon über Probleme sprechen?“ Tanja Müller zieht die Augenbrauen hoch. „Nee, das mach ich nicht.“ Als ihr  Mann Sebastian 2011 im Einsatz in  Afghanistan war, schlug er ihr vor, sich beim Familienbetreuungszentrum Euskirchen zu melden. Tanja Müller hatte zwar keine Probleme, als ihr Mann im Ausland war, doch selbst, wenn sie die  gehabt hätte: Sie hätte nicht in Euskirchen angerufen und wäre auch nicht hingefahren. „Da kenn ich doch niemanden, was soll ich da?“, fragt sie.

Die  Soldaten und Beamten aus Daun organisieren seit  fünf Jahren Erholungsseminare, um den Stress im Dienst gemeinsam zu verarbeiten ( JS 10/2011). Den Alltag lassen sie hinter sich, indem sie auf den italienischen Militärflugplatz in Decimomannu auf Sardinien fliegen. Der Nachteil: Die Teilnehmerzahl  ist begrenzt, pro Jahr können nur 60 bis 80 Soldaten mitfliegen.

„Wir  hatten schon lange den Wunsch, Decimomannu in  den Alltag  des Standorts zu holen“, erzählt Militärpfarrer Schmidt. Der Auslöser, diese Idee auch in die Tat umzusetzen, kam Anfang des Jahres. Damals wurde bekannt, dass Daun  im Zuge der Umstrukturierung ab 2013 Einsatzstandort wird.  Ab dann werden pro Jahr bis zu 250 Soldaten und Beamte im Ausland sein. Damit  kommen neue Aufgaben auf  den Standort zu: Einsatz- und Familienbetreuung müssen organisiert, neue Kameraden unterstützt werden. Deshalb setzten sich Sozialarbeiter, Truppenpsychologe, Truppenarzt, Militärpfarrer, Personalrat und Soldaten zusammen und überlegten gemeinsam, was sie tun könnten, um das Beratungs- und  Betreuungsangebot besser  zu  vernetzen und auszubauen.

Das Ergebnis ist das „Sohrglos“ – Das Sozial- und Betreuungszentrum am Standort Daun. „Ohr“ in  Sohrglos deshalb, weil  es im  Zentrum immer jemanden gibt, der  ein  offenes Ohr hat, erzählt Pfarrer Schmidt. Außerdem wird der Standort aufgrund seines Auftrags auch „Das Dauner Ohr zur Welt“ genannt. Die  Idee  hinter dem Zentrum: Eine  zentrale  Anlaufstelle, die Soldaten und  Angehörigen in allen Lebenslagen schnell und unbürokratisch zur Seite steht. Das Zentrum ist im ehemaligen Offiziersheim untergekommen – das Gebäude stand sowieso leer. Tische  und Stühle wurden aus dem Keller geholt, Wände gestrichen, Telefonkabel verlegt, Handwerker halfen ehrenamtlich. Seit Februar hat das Sohrglos geöffnet.

Das Prinzip ist einfach: Stabsfeldwebel Peter Lauer steht zwischen neun und 14 Uhr, also während seines Dienstes, als Vermittler zwischen Soldaten, Beamten und Angehörigen auf  der  einen  Seite und dem richtigen Ansprechpartner auf der anderen Seite bereit. Dazu hat er eine Liste  mit allen Telefonnummern der Ansprechpartner. „Kümmerer“ nennen sie Lauer. „Ich weiß, wann Sozialarbeiterin, Pfarrer und Psychologe wieder am Standort sind und vereinbare für die Hilfesuchenden einen Termin“, erzählt er. Hat ein Soldat beispielsweise familiäre Probleme, organisiert Kümmerer Lauer ein Treffen mit der Sozialarbeiterin. Nach zwei  Wochen hakt er  dann beim Soldaten nach: Bist du dort gewesen? Wie können wir dich weiter unterstützen?

Eigentlich ist es die Aufgabe der Spieße und Chefs, sich um die Probleme ihrer Soldaten zu kümmern. „Anfangs hatten die Chefs die Befürchtung, dass wir  ihnen ihre Kompetenzen wegnehmen“, sagt    Militärpfarrer Schmidt. „Doch diese Bedenken konnten wir schnell ausräumen.“ Wenn ein Soldat ein  Problem hat, das seine Leistung im Chefs die Befürchtung, dass wir  ihnen ihre Kompetenzen wegneh- men“, sagt Militärpfarrer Schmidt. „Doch diese Bedenken konnten wir schnell ausräumen.“ Wenn ein Soldat ein  Problem hat, das seine Leistung im Dienst beeinflusst, holt der Kümmerer die Chefs mit  ins Boot – sofern der Betroffene damit einverstanden ist. Das liege auch im Interesse der Betroffenen, sagt Lauer: „Nur wenn der Vorgesetzte weiß, dass der Soldat ein Problem hat, kann er darauf Rücksicht nehmen – beispielsweise indem er ihm weniger anspruchsvolle Aufgaben überträgt und dies dann auch bei der Beurteilung berücksichtigt.“ Doch auch alltägliche Probleme tauchen bei  Lauer auf, vor allem Fragen von neuen Leuten am Standort.

Und das Sohrglos richtet sich nicht nur an Soldaten, die  Probleme haben, betont Lauer. „Die Soldaten und ihre Angehörigen sollen hier einen Ort finden, an  dem sie sich wohl fühlen.“ So ein Ort ist das Café  Sanssouci, sorglos auf Französisch: ein  großzügiger, heller Raum mit Bar und Sofaecke im ehemaligen Offiziersgebäude. Stabsunteroffizierin (FA) Nadine Fuhrmann ist häufiger dort: „Nach dem Mittagessen komme ich kurz auf einen Kaffee vorbei und unterhalte mich mit Kameraden.“ Auch Veranstaltungen  wie Familientage, Stammtische und Lebenskundlicher Unterricht finden hier statt.

„Innerhalb der Bundeswehr ist das Sohrglos so etwas wie ein  Versuchslabor“, erklärt Kommandeur Oberst Reinhard Jörß. „In der Bundeswehr wird sehr interessiert beobachtet, was wir hier machen.“ Einige Standorte seien dabei, ähnliche Projekte umzusetzen. Hindernisse vonseiten des Ministeriums oder der   vorgesetzten Dienststelle gab es nicht, sagt Oberst Jörß – das  hinge sicher auch damit zusammen, dass  der Standort kein Geld für das Sohrglos gefordert habe. „Das  Projekt lebt allein vom Engagement der Leute“, sagt Jörß. Einen eigenen Haushalt und Dienstposten gibt es  für  das Sohrglos  bislang nicht. Sofern   Geld benötigt wurde, konnte dies beispielsweise über  die Evangelische Militärseelsorge finanziert werden. In Zukunft wird  das Projekt weiter wachsen: Ein Eltern-Kind-Zimmer ist geplant, ab Januar wird zudem ein Freizeitbüro eingerichtet, mit Internetcafé, Touristeninformation, Kinosaal und Karaokeanlage. Dann sollen auch Militärpfarrer Schmidt, sein Pfarrhelfer und die Sozialarbeiterin die  frisch renovierten Räume des ehemaligen Offiziersheims beziehen.

Schon jetzt spürt Truppenarzt Kretschmer eine deutliche Erleichterung für seine Arbeit. Er tausche sich öfter mit den anderen Mitgliedern des Psychosozialen Netzwerks aus  als nur alle drei Monate bei den offiziellen Terminen. Auch Tanja Müller kann  sich vorstellen, in Zukunft öfter im Sohrglos vorbeizuschauen. „Ich finde toll, was hier gemacht wird. Auch für meine Kinder, denn bisher waren sie selten in der Kaserne“, erzählt sie. Hauptfeldwebel Nico H. ist überzeugt, dass er früher etwas gegen seine Erschöpfung getan hätte, wenn ihm damals jemand geholfen hätte, einen Therapeuten zu finden. Seit er aus  der Kur zurück ist, engagiert er sich freiwillig im Sohrglos. Er sagt: „Ich möchte anderen meine Erfahrung weitergeben und ihnen zeigen, welche Möglichkeiten es gibt, unterstützt  zu werden.“ 

Meike  Büchner,
Quelle: js-magazin.de

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