70 Jahre Anonyme Alkoholiker in Deutschland

München (dpa) – Wenn sich Menschen an die Anonymen Alkoholiker (AA) wenden, ist ihr Leidensdruck meist schon sehr groß und ihr Leidensweg lang. Die Interessengemeinschaft ist Anlaufstelle für Betroffene, die mit dem Trinken aufhören wollen, und auch für deren Angehörige. In Deutschland gibt es die Anonymen Alkoholiker seit 70 Jahren. Das Jubiläum wollen sie Ende März in München begehen.

Bundesweit gibt es aktuell rund 2000 AA-Gruppen, die sich regelmäßig treffen, sagt der Vorsitzende Jürgen Hoß, der selbst kein Alkoholiker ist. Die AA seien ein Beweis dafür, zu welchen Veränderungen Menschen in der Lage seien. Mehrere Betroffene erzählten in München von ihren eigenen Erfahrungen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie irgendwann an einen Punkt gekommen waren, an dem sie selber erkannten, dass sie nicht weitermachen können wie bisher. Weiterlesen

Psychisch bedingte Krankschreibung: Höchster Stand seit 2012

Mainz/Frankfurt (dpa/lrs) – Die Zahl der Krankmeldungen wegen psychischer Erkrankungen bei rheinland-pfälzischen Arbeitnehmern ist in den vergangenen zehn Jahren auf einen neuen Höchststand gestiegen. Der Zuwachs zwischen 2012 und 2022 lag bei 48 Prozent, wie aus nun vorgelegten Daten der Krankenkasse DAK hervorgeht. Besonders betroffen waren demnach im vergangenen Jahr Beschäftigte im Gesundheitswesen, deren Fehltage wegen psychischer Leiden 53 Prozent über dem Durchschnitt lagen.

Im Schnitt entfielen auf einen DAK-Versicherten 3,27 Fehltage. Damit liege Rheinland-Pfalz bei den psychisch bedingten Fehlzeiten um 9 Prozent über dem Bundesniveau. Eine Krankschreibung aufgrund einer psychischen Erkrankung dauerte im Durchschnitt 39,8 Tage, wie es weiter hieß. Der häufigste Grund für dadurch bedingte Fehltage waren Depressionen: Hier sei ein Anstieg im Vergleich zu 2021 um 11 Prozent und damit ein Rekordhoch verzeichnet worden. Auf Platz zwei kamen Belastungs- und Anpassungsstörungen. Neurotische Störungen, zu denen beispielsweise auch chronische Erschöpfung zählt, nahmen um 8 Prozent zu, wie aus dem «Psychreport» der Krankenkasse weiter hervorgeht. Weiterlesen

Notärzte kritisieren Missbrauch des Notrufs für Bagatellen

Koblenz (dpa) – Notärzte beklagen mehr Missbrauch der Notrufnummer 112 für Bagatellen. Die «Gesundheitskompetenz der Bevölkerung» habe offensichtlich nachgelassen und viele Ältere fühlten sich hilflos, sagte der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands, Florian Reifferscheid, am Donnerstag in Koblenz auch mit Blick auf den demografischen Wandel. Viele riefen daher den Notruf an statt niedergelassene Ärzte oder Pflegedienste, ergänzte er am Rande des Deutschen Interdisziplinären Notfallmedizin-Kongresses mit rund 1700 Teilnehmern – überwiegend vor Ort oder auch online dazugeschaltet. Weiterlesen

Statistik: Anteil an Drittgeburten auf Höchststand

In Thüringen hat der Anteil an Drittgeborenen und weiteren Kindern einen neuen Höchststand erreicht. Als drittes oder weiteres Kind kamen im Jahr 2021 insgesamt 3116 Kinder lebend zur Welt, wie das Landesamt für Statistik am Donnerstag mitteilte. Dies sei ein Anteil von 20,3 Prozent an allen Lebendgeborenen des Jahres und der höchste Wert seit der erstmaligen Erfassung dieser Zahl im Jahr 2008. 13 Jahre zuvor kamen als drittes und weiteres Kind insgesamt 2438 Kinder zur Welt (Anteil: 14,1 Prozent). Weiterlesen

UN-Drogenkontrollrat warnt Deutschland vor Cannabis-Freigabe

Wien (dpa) – Die geplante Legalisierung von Cannabis in Deutschland birgt laut dem UN-Drogenkontrollrat (INCB) das Risiko von erhöhtem Konsum unter Jugendlichen und eines wachsenden Schwarzmarkts für diese Droge. Das Gremium, das die Einhaltung der internationalen Drogen-Konventionen überwacht, wies in seinem Jahresbericht außerdem darauf hin, dass die Freigabe von Cannabis als Genussmittel «unvereinbar» mit diesen Abkommen sei. Nur der medizinische und wissenschaftliche Gebrauch sei erlaubt.

In ihrem Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP vereinbart, die kontrollierte Abgabe der Droge an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften möglich zu machen. Cannabis soll staatlich reguliert angebaut und verkauft werden. Erlaubt werden soll auch der Eigenanbau von wenigen Pflanzen. Weiterlesen

Studie: Niedrigerer IQ durch Corona-Schulschließungen?

Trier (dpa) – Mehrere Experten interpretieren eine neue Studie zu schlechterem Abschneiden von Schülerinnen und Schülern bei IQ-Tests nach coronabedingten Schulschließungen zurückhaltend. Ein Forscherteam um Moritz Breit von der Uni Trier schreibt im Fachblatt «PLOS ONE», dass Schüler aus Rheinland-Pfalz rund sechs Monate nach Pandemiebeginn bei Intelligenztests deutlich weniger Punkte erzielten als Vergleichsgruppen in den Jahren 2002 und 2012.

Unabhängige Experten stellen das Ergebnis der Studie nicht per se in Frage, weisen aber darauf hin, dass sich die Ergebnisse nur schwer verallgemeinern lassen. So besuchte rund die Hälfte der teilnehmenden Schüler sogenannte Hochbegabtenklassen. Zudem sei denkbar, dass die Unterschiede zwischen 2012 und 2020 auch durch andere Faktoren beeinflusst wurden. Auch die Forscher um Breit diskutieren Einschränkungen ihrer Studie. Weiterlesen

Cara Delevingne spricht über Entzug: «Mir ging es nicht gut»

London (dpa) – Model und Schauspielerin Cara Delevingne (30, «Carnival Row») hat sich im vergangenen Jahr in eine Entzugsklinik eingewiesen. In einem<<Vogue>>Interview spricht die Britin offen über ihre Sucht: «Ich erkannte, dass eine Zwölf-Schritte-Therapie das Beste ist, und dass es darum geht, sich dafür nicht zu schämen.»

Auslöser für ihre Suche nach Hilfe waren nach ihren Worten Paparazzifotos nach dem Burning Man-Festival im US-Bundesstaat Nevada, die sie sichtlich verwirrt und zerzaust an einem Flughafen in Los Angeles zeigen. Weiterlesen

Lauterbach legt Plan für Neustart bei E-Patientenakten vor

Berlin (dpa) – Nach jahrelangem Gezerre soll die Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland mit breit angelegten Anwendungen für alle mehr Fahrt aufnehmen. Bundesminister Karl Lauterbach stellt dazu heute Pläne für einen Neustart bei elektronischen Patientenakten vor, die als freiwilliges Angebot kaum genutzt werden.

Wie der SPD-Politiker angekündigt hat, sollen sie Ende 2024 für alle verbindlich werden – es sei denn, man lehnt es ausdrücklich ab. Die von der Ampel-Koalition vorgesehene Umstellung soll einen Durchbruch für digitale Anwendungen bringen. Auch E-Rezepte sollen vorankommen. Zudem sollen mehr Datenauswertungen für die Forschung möglich werden. Weiterlesen

Blinder Jurist erster Vorsitzender Richter am Landgericht

Von Carsten Linnhoff und Dieter Menne, dpa

Ulrich Badde ist blind. In Nordrhein-Westfalen ist er einer der ersten Juristen, der als Vorsitzender Richter an einem Landgericht eine Kammer leitet. Beim Aktenstudium bekommt er Hilfe, auch bei der Fahrt in die Psychiatrie.

Wie soll sich ein blinder Richter die Akte eines psychisch Kranken anschauen? Für das Prüfen einer Akte gibt es viele Hilfsmittel. Für den betroffenen Patienten aber war die Vorstellung geradezu absurd. Ulrich Badde ist einer der ersten Vorsitzenden Richter an einem Landgericht in Nordrhein-Westfalen, der als Blinder diesen Karriereschritt an die Spitze einer Kammer geschafft hat. Über das Erlebnis in der Psychiatrie kann er heute schmunzeln. Und einen sehenden Kollegen schicken.

Badde kann sich den Wortlaut vom Computer vorlesen lassen. Auch hat der Jurist eine Assistentin, die ihm beim Studium der Akte durch den Wust von Anwaltsschreiben und Urteilen aus der ersten Instanz hilft. Dafür braucht der Richter im Landgericht Münster seine Augen nicht.

Für den Patienten in einer Psychiatrie war dieser Gedanke allerdings unvorstellbar. Ein normaler Unterbringungsfall, psychotisch, selbstgefährdend, erzählt Badde im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Der Besuch vom Landgericht war dem Mann zuvor angekündigt worden. «Ich musste hin und fahre raus. Am Arm meine Assistentin. Bin noch nicht ganz im Zimmer, da schreit der Patient: Ihr müsst doch was im Kopp haben, der kann doch nicht mal alleine laufen! Wie liest Du denn eine Akte? Du?», erzählt Badde.

Der Patient litt an Konkretismus. «Vergleichbar mit dem Asperger-Syndrom. Diese Menschen können nicht im übertragenen Sinne denken. Vor der Anhörung wurde ihm gesagt, der Richter will Sie noch einmal sehen, will sich ein Bild von Ihnen machen. Interessant, wie unsere Sprache auf das Sehen abgestimmt ist. Für den Patienten aber war klar, dass ich ihn nicht sehen konnte. Und ich sollte über ihn entscheiden?»

Fälle wie in der Psychiatrie sind aber nicht der Alltag. «Bei den psychisch Kranken habe ich oft das Gefühl, dass mein Blindsein nicht schädlich ist. Ich bilde mir ein, dass das Vertrauen aufbaut. Es ist mir vertraut, etwas anders zu sein.» «Meine Kammer ist zuständig für Beschwerden gegen Beschlüsse der Amtsgerichte, also in der zweiten Instanz. Was die Rechtsgebiete angeht, ist das ein totaler Gemischtwarenladen, der Alptraum für neue Kollegen», sagt Badde. Dabei geht es um Unterbringungen von psychisch Kranken, um Insolvenzverfahren oder die Entscheidung über Betreuervergütungen.

Beim Aktenstudium oder dem Schreiben von Entscheidungen bekommt der Vorsitzende Richter Hilfe. Zum Beispiel von Stephanie Connor. Die Justizbeschäftigte bildet mit ihrem Chef ein eingespieltes Team. Sie teilt sich die Assistenz mit zwei weiteren Kolleginnen. Und nicht nur dann, wenn Badde in eine Klinik fahren muss. «Ich habe damit jeden Tag jemanden zur Verfügung, der mich unterstützt.»

Die Umstellung an den Gerichten in NRW auf digitale Aktenführung spielt dem Juristen bei der täglichen Arbeit in die Karten, ist aber noch im Umbruch. Das Landgericht in Münster hat im Oktober 2021 auf die E-Akte umgestellt. Die Amtsgerichte fangen zum Teil jetzt erst an.

Aus der Papierakte muss die Assistenz Badde klassisch vorlesen. «Ich mache mir dabei meine Notizen für das, was ich glaube zu brauchen. Ab und zu schaue ich später nochmals mit der Assistenz rein, wenn es neue Aspekte, neue Blickwinkel gibt.»

Für Badde ist klar, dass er auch weiterhin Hilfe benötigt, auch wenn die E-Akte komplett eingeführt ist. Neu sei, dass die Assistenz dabei hilft, die Dokumente fertig zu machen, sie in die richtige Form zu bringen. Klassischer Fall Durchsuchungen: «Da bekommen sie locker zehn Akten. Das ist kein Jura am Hochreck. Da müssen sie schauen, das schnell zu erfassen. Da ist es mit Vorlesen nicht getan. Da hilft es extrem, wenn die Assistentin weiß, was brauche ich, wo finde ich was?»

Badde schreibt seine Texte selbst, arbeitet nicht mit einem Diktiergerät. Die Spracherkennung überzeugt ihn noch nicht. Wenn aus der Begutachtung eine Schlachtung wird, wie einem Kollegen passiert, «dann tippe ich lieber selber».

Der Richter ist seit seinem zweiten Lebensjahr blind. Die Entscheidung für den Job des Juristen fiel kurz vor dem Abitur. Eigentlich wollte er Journalist werden. Auf der Suche nach einem für eine Journalistenschule vorgeschriebenen Praktikumsplatz gibt ihm ein Redaktionsleiter im Bewerbungsgespräch den wertvollen Rat: Eignen sie sich ein fundiertes Fachwissen über ein Studium an. «Suchen Sie sich was aus, woran Sie Spaß haben.» Da war ich frustriert. Da musste ich alles neu überlegen. Da bin ich auf Jura gekommen. Das Thema Blindheit war in dem Gespräch zum Praktikum nur am Rande ein Thema. «Wir könnten das möglich machen, aber ich halte das nicht für sinnvoll.»

Baddes Vater hat ebenfalls Jura studiert. «Für mich war klar, dass Jura vom Aufbau her ein Studium ist, was sie als Blinder ohne große Probleme machen können.» Chemie mit Laborarbeit – da wäre der Hindernisparcours wohl größer geworden, vermutet der Jurist, der seine zwei Examen mit Prädikat abgelegt hat.

Die Uni Münster sei gut vorbereitet gewesen. «Ich war bei Weitem nicht der erste blinde Jura-Student. Es gab vom Fachbereich eine Stelle mit einer Hilfskraft zur Unterstützung von Blinden. Später wurde das ausgebaut für Schwerbehinderte. Ich habe im Wohnheim mit einer Rollstuhlfahrerin gewohnt.»

Der 45-Jährige will die Gesellschaft ermuntern, die Unsicherheit ihm gegenüber abzulegen und zum Beispiel Fragen zu stellen wie Kinder es tun. «Kinder sind im positiven Sinne schmerzbefreit», sagt der Jurist. Er freut sich, wenn die Menschen die Scheu gegenüber Blinden verlieren und Unsicherheiten zugeben.

Anwalt zu werden konnte er sich nicht vorstellen. Als Blinder Mandanten für sich zu gewinnen, das Risiko wollte er nicht eingehen. Badde zog es in den Staatsdienst oder in ein Unternehmen. In Mainz machte er einen Zusatzstudiengang Medienrecht. Über eine Bewerbung beim Oberlandesgericht in Hamm landet Badde dann in Münster. Gab es Anlaufprobleme? «Die Zusammenarbeit war immer gut. Jeder Richter hat das Gefühl, jetzt habe ich lange studiert und ein Referendariat gemacht, warum kann ich eigentlich gar nix? Das hat bei mir vielleicht etwas länger angehalten als bei den sehenden Kollegen.»

Von Anfang an hatte er eine Assistentin. «Ein blinder Kollege hatte aufgehört als ich kam. Er war auch Richter im Strafvollstreckungsbereich.» Vollständig blinde Kollegen gibt es nach seinen Informationen drei in NRW. «Und einen sehbehinderten Kollegen. Der blinde Richter ist nicht die absolute Ausnahme», sagt der Jurist.

Claudia Middendorf (CDU) ist die Behindertenbeauftragte der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen. «Beim Thema inklusiver Arbeitsmarkt sind wir bedauerlicherweise noch nicht so weit, wie ich es mir als Landesbehinderten- und -patientenbeauftragte wünschen würde, wenngleich die Zahl der Beschäftigten mit Behinderungen zunimmt», sagt Middendorf der dpa. Die Anzahl der Arbeitsplätze für blinde und sehbehinderte Menschen sei ausbaufähig.

Beim Landgericht in Münster fühlte sich Badde stets gut unterstützt. «Das kann ich dieser Behörde attestieren. Geglaubt an mich haben sie hier immer. Wenn Du das möchtest, probieren wir das, war immer die Aussage.»

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Einsamkeit kann schmerzhaft und gesundheitlich riskant sein

Von Anja Sokolow, dpa

Berlin (dpa) – Wenn der Freundeskreis schrumpft, Partner sterben, die Gesundheit nicht mehr mitmacht oder auch das Geld für Kino und Restaurantbesuche fehlt, können vor allem ältere Menschen schnell in die Einsamkeit abrutschen. Ein Gefühl, das auch Helga Müller aus Berlin-Tempelhof kennt. Ihre Tochter lebt in Athen, die Freunde sind krank, verstorben oder weggezogen. «Ich gehe zwar jeden Tag raus, kaufe ein und mache meine Gymnastik, aber zum Reden fehlt mir jemand», sagt die 85-Jährige.

Seit fast zwei Jahren kann sich die Rentnerin immerhin auf ein ausgiebiges Gespräch pro Woche freuen. Der in verschiedenen Großstädten aktive Verein «Freunde alter Menschen» hat ihr Jan Römmler, einen Besuchspaten, vermittelt. «Ich möchte meine Zeit sinnvoll nutzen und anderen schenken», sagt der 50-jährige gelernte Koch und Frührentner. Man sieht Helga Müller die Freude an. Sie strahlt, als Römmler sie zum Spaziergang abholt.

Familienministerin will Thema stärker beleuchten

Das Thema Einsamkeit rückt immer mehr in den Fokus von Politik und Wissenschaft. Im Juni 2022 gab Familienministerin Lisa Paus (Grüne) den Startschuss für eine «Strategie gegen Einsamkeit». «Ziel ist es, das Thema in Deutschland stärker zu beleuchten und Einsamkeit stärker zu begegnen», erklärt Axel Weber vom «Kompetenznetz Einsamkeit» (KNE), das das Ministerium wissenschaftlich unterstützt.

In einer Studie des KNE heißt es, dass vor der Covid-19 Pandemie rund 14 Prozent der Menschen in Deutschland einsam waren. Während der Pandemie sei der Anteil auf 42 Prozent im Jahr 2021 gestiegen. Allerdings wurden alle Menschen mitgezählt, die angaben, sich mindestens manchmal einsam zu fühlen.

«Wirklich dauerhaft einsam fühlt sich eine Minderheit. Die meisten Menschen fühlen sich geborgen», sagt Einsamkeitsforscherin Maike Luhmann von der Ruhr-Universität Bochum. Sie geht von etwa fünf Prozent an chronisch einsamem Menschen in der Bevölkerung aus.

Wie sich die Zahl der Einsamen seit der Corona-Pandemie entwickle, wisse man noch nicht. Statistiken seien generell schwierig. «Es gibt keine messbare Definition. In der Wissenschaft wird Einsamkeit als ein Zustand definiert, bei dem die sozialen Beziehungen nicht den Erwartungen der Menschen entsprechen. Dieser Punkt ist für jede Person irgendwo anders», so Luhmann.

Einsamkeitsforschung steckt noch in den Kinderschuhen

Es lasse sich auch nicht sagen, dass sich die Zahl der Einsamen in den vergangenen Jahrzehnten erhöht habe. «Wir wissen nicht, wie einsam die Menschen vor 20, 30 oder 50 Jahren waren», so Luhmann. Die Einsamkeitsforschung stecke in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Heute lebten zwar viele Menschen allein. Das bedeute aber nicht automatisch, dass sie sich auch einsam fühlten.

Das KNE will das bestehende Wissen über Einsamkeit bündeln und neues Wissen generieren. Unter anderem erarbeiten die Wissenschaftler laut Weber ein Einsamkeitsbarometer, um Daten über das Phänomen in verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu gewinnen, die sich auch über den Zeitverlauf vergleichen lassen.

Einsamkeit kann krank machen: «Einsamkeit tut weh. Bei chronischer Einsamkeit werden im Gehirn dieselben Areale aktiviert wie bei Schmerz», so Psychologin Luhmann. Es gebe zwar keine klinische Diagnose im klassischen Sinne für das Gefühl und auch keine Therapien oder Medikamente. Man wisse aber, dass Einsamkeit mit großen Risiken einhergehe. So könne chronische Einsamkeit sowohl psychische als auch physische Erkrankungen wie Depressionen, koronare Herzerkrankungen, Schlaganfälle oder Herzinfarkte begünstigen.

Dauerstress in ständiger Alarmbereitschaft

«Wir sind soziale Tiere und dafür gemacht, in Gruppen mit anderen zu leben und dort besonders gut zu funktionieren. Einsamkeit ist gar nicht programmiert in unseren Körpern und unseren Seelen», ergänzt Eva Peters, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universität Gießen. Das Gefühl der Einsamkeit bedeute Dauerstress für den Körper, da er sich in ständiger Alarmbereitschaft befinde. Es fehle das soziale Umfeld als Puffer für mögliche Gefahrensituationen.

Eine weitere Gefahr bestehe in der fehlenden intellektuellen Herausforderung. «Wenn keine Interaktion und Reize kommen, verkümmert das Gehirn wie ein unbenutzter Muskel. Das kann der Beginn von Alzheimer und Demenz sein», so Peters.

«Einsamkeit kann einen Menschen von innen regelrecht auffressen», beobachtet Besuchspate Jan Römmler. So habe Helga Müller in der ersten Zeit einen verkümmerten Eindruck gemacht. «Inzwischen ist sie richtig aufgeblüht», so die Einschätzung Römmlers.

Politik ist gefragt

Eine der wichtigsten Maßnahmen gegen Einsamkeit aus Luhmanns Sicht: Prävention. «Gerade bei Älteren muss man viel in diese Richtung denken, sie ermutigen, dass sie sich, wenn sie es noch können, um ihre sozialen Beziehungen kümmern, sich ein Netz aufbauen.»

Vor allem auch die Politik sei gefragt, etwa bei der Gestaltung des öffentlichen Raumes. «Orte und Gebäude müssten so konzipiert sein, dass sie allen Menschen zugänglich sind. Es geht letztlich immer um Teilhabe». Bei Älteren sehe sie auch eine große Chance in der Digitalisierung, so Luhmann. Helga Müller zum Beispiel besitzt aber weder Smartphone noch Internet. Auf den Verein Freunde alter Menschen wurde sie durch einen Artikel in einem Mieter-Magazin aufmerksam.

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Frühstück ist für viele die «wichtigste» Mahlzeit

Von Gregor Tholl, dpa

Berlin (dpa) – Trends wie Intervallfasten ohne Mahlzeit am Morgen scheinen den meisten wurst zu sein: Deutschland ist und bleibt ein Land der Frühstücker – vor allem der herzhaften Frühstücker.

Das morgendliche Essen ist als Brauch keinesfalls abgefrühstückt. Im Gegenteil: Für eine große Mehrheit ist es unverzichtbar. Das fördert eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur zutage. Nur etwa jeder vierzehnte Erwachsene gibt an, nie zu frühstücken. Und nach Meinung von einem Drittel ist das Frühstück sogar die «wichtigste Mahlzeit» des Tages. Mittag- und Abendessen haben jeweils weniger Fürsprecher.

Junge Leute mögen Frühstück

Nur 2 Prozent der jungen Erwachsenen, der 18- bis 24-Jährigen, sagen, sie frühstückten nie. Bei den Älteren (Menschen über 55 und auch die 45- bis 54-Jährigen) sagen dagegen 8 Prozent, sie bekämen morgens nie was runter. Ältere frühstücken, wenn sie es tun, sehr oft herzhaft – meint also Brot mit Käse, Wurst und so weiter. 43 Prozent der über 55-Jährigen nehmen bei der Auswahlmöglichkeit diese Variante, während es bei Jüngeren (18 bis 24 und 25 bis 34 Jahre) nur 22 Prozent sind.

Insgesamt liegt in Deutschland das herzhafte Frühstück mit 34 Prozent vorn, gefolgt vom süßen Frühstück mit 18 Prozent (Brötchen/Croissant mit Marmelade etc.) sowie dem Frühstück der Allesesser mit 15 Prozent (Brot, Müsli, Ei, Obst …). Dahinter erst kommen die Müsli-Fans (10 Prozent), Eier-Fans (6 Prozent) und Obst-Esser (5 Prozent).

Gefragt worden ist – mit Entscheidungspflicht -, welche Frühstücksart «persönlich am meisten» zusage. Der Rest wollte nichts auswählen, machte keine Angabe oder behauptete, nie zu frühstücken.

Müsli und Obst ist bei Jungen besonders beliebt

Junge Erwachsene wählen übrigens überdurchschnittlich oft Müsli oder Obst als Frühstück. Die Werte für diese Varianten liegen bei den 18- bis 24-Jährigen jeweils doppelt so hoch wie im Schnitt aller Erwachsenen. Sie trinken auch öfter nur Wasser am Morgen statt Kaffee. Da scheint also eine ernährungsbewusste Generation heranzuwachsen, die sich nicht mit Wurstbrot und manchmal unverträglichem Filterkaffee den Bauch vollschlägt.

Filterkaffee am Morgen ist eine Vorliebe der Älteren

Insgesamt liegt aber Kaffee mit Abstand vorne: 66 Prozent nennen ihn als ihre liebste Flüssigkeitszufuhr am Morgen. Am populärsten ist nach wie vor der Filterkaffee (27 Prozent), gefolgt vom Kaffee aus dem Vollautomaten (24 Prozent), einem Käffchen aus Pads (9 Prozent) und Espresso (6 Prozent). Auffällig ist hier der Unterschied in den Altersgruppen, denn Filterkaffee scheint bald kaum mehr angesagt zu sein: So trinken ihn bei den Älteren (über 55) zwar 40 Prozent, bei den Jungen (unter 25 Jahre) jedoch nur 5 Prozent. In den mittleren Altersklassen dominiert Vollautomaten-Kaffee.

Für viele ist das Frühstück wichtiger als das Mittagessen

Gefragt nach der «wichtigsten Mahlzeit» des Tages, entscheiden sich die meisten Erwachsenen fürs Frühstück. Ein Drittel (33 Prozent) nannte die Morgenmahlzeit, weniger als ein Viertel (23 Prozent) das Mittagessen. Genau so viele sagten, alle Mahlzeiten seien «gleich wichtig». Abgeschlagen mit 17 Prozent landete das Abendessen beziehungsweise Abendbrot auf dem letzten Platz der gängigen Mahlzeiten, wobei Männer (19 Prozent) es ein bisschen wichtiger finden als Frauen (15 Prozent). Dafür sind Frauen (34 Prozent) größere Frühstücksfürsprecherinnen als Männer (31 Prozent).

Das beliebte Frühstück wird aber wohl vergleichsweise hastig eingenommen. Eine Umfrage des Lebensmittelherstellers Leif förderte vergangenes Jahr zutage, dass die durchschnittliche Frühstückszeit der Deutschen angeblich gerade mal 15 Minuten betrage. Mittags und abends plane dagegen eine Mehrheit eher 30 Minuten und mehr ein.

Offensichtlich bezieht kaum jemand den alten Mahlzeitenspruch «Morgens wie ein Kaiser, mittags wie ein König und abends wie ein Bettler» auf die Dauer oder den Rahmen von Frühstück, Lunch und Dinner. Stattdessen denken die meisten wohl nur an die Menge.

Frühstück ist eine Trendmahlzeit mit Moden

Ausgiebiger wird meist wohl nur am Wochenende gefrühstückt. Wie vieles heutzutage wird auch der Brunch (Kofferwort aus dem englischen breakfast und lunch) bereitwillig aufgebrezelt. Alter Wein in neuen Schläuchen sind dann etwa sogenannte Overnight Oats (früher einfach eingelegte Haferflocken), Porridge (Haferbrei/-schleim), Granola (Knuspermüsli), French Toast (Arme Ritter) oder Smoothies (Obst-Mixgetränk).

Auch um Eiergerichte gibt es mehr Bohei als früher. In angesagten Lokalen werden sie gern amerikanisiert angeboten, man denke an Eggs Benedict (Brot mit pochierten Eiern, Schinken oder Speck und fett Sauce Hollandaise) oder Eggs Florentine (vegetarisch: mit Spinat).

Auch Fruchtaufstriche sollen heute anders und modern sein – und angeblich besser als klassische Konfitüre oder Omas Marmelade. Sie werden mit Süßstoffen und Zuckeraustauschstoffen versehen. In der ZDF-Doku «Lege packt aus: Fiese Frühstücks-Fallen» gab Britta Schautz von der Verbraucherzentrale Berlin dazu jedoch zu bedenken, dass der Geschmack gleich bleibe. «Das heißt: Ich gewöhne mich nicht an weniger süße Produkte, was eigentlich von Vorteil wäre, denn dann esse ich langfristig weniger Zucker.» Stattdessen lerne der Körper nichts «und wird weiterhin diese ganz süßen Produkte bevorzugen».

Der Trend des Intervallfastens scheint den meisten wurst zu sein

Apropos Süßes, Kalorien, Figur: In den letzten Jahren war Intervallfasten (intermittierendes Fasten) sehr präsent in den Medien. Bei der 16:8-Methode zum Beispiel fällt entweder die Früh- oder Spätmahlzeit aus. 16 Stunden wird nichts gegessen. Wer gegen 20 Uhr zu Abend isst, darf am nächsten Tag erst wieder ab 12 Uhr mittags Nahrung aufnehmen, lässt das Frühstück also weg. Der Stoffwechsel soll dadurch jede Nacht in ein kurzes Fasten kommen. Wie die aktuelle Umfrage zeigt, ist dieser Trend vielen Leuten aber wohl total egal.

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