Krieg in der Ukraine: So ist die Lage

Kiew (dpa) – Die Ukraine will Russland für dessen Angriffskrieg und die verursachten Zerstörungen mithilfe der internationalen Gemeinschaft zur Verantwortung ziehen lassen. In seinen Gesprächen mit ausländischen Politikern und beim Austausch ukrainischer Behörden mit westlichen Institutionen werde stets darüber gesprochen, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner täglichen Videoansprache. «Das Hauptthema all dieser Ereignisse ist die Verantwortung Russlands für Krieg und Terror.»

Nach einer kurzen Auflistung der jüngsten russischen Angriffe und der neuesten Schäden, darunter der Ausfall der Wasserversorgung in der südukrainischen Stadt Mykolajiw, warf Selenskyj den Invasoren Zerstörungswut vor. «Nun, was kann man über sie sagen? Das ist die wahre Essenz dieser zufälligen Genossen, die Russland übernommen haben», sagte Selenskyj. «Nach 20 Jahren Herrschaft ist ein großer Teil ihres Staates so ruiniert, als hätte es dort Krieg gegeben.»

Selenskyj: Russen kennen nur Zerstörung

«Sie sind zu nichts als Zerstörung fähig», warf der ukrainische Staatschef der russischen Führung vor. «Und was sie jetzt gegen die Ukraine tun, ist ihr Versuch, sich zu rächen. Um sich dafür zu rächen, dass sich die Ukrainer immer wieder gegen sie gewehrt haben.»

Sein Land werde sich mit allen Mitteln gegen Russland verteidigen. «Die Ukraine wird niemals Befehle von diesen Genossen aus Moskau annehmen», sagte er. Und die Ukraine werde alles tun, um jedes Objekt, jedes Haus, jedes Unternehmen, das von den Besatzern zerstört wurde, wiederherzustellen.

Ukrainischer Armeesprecher: Dutzende Angriffe im Donbass

Auch bei Kälte, Schneeregen und Regen dauern die schweren Kämpfe im Donbass im Osten der Ukraine an. Dabei wehrten die ukrainischen Streitkräfte täglich Dutzende von Angriffsversuchen russischer Truppen ab, sagte Serhij Tscherewatyj, Sprecher der Ostgruppe der ukrainischen Armee. Im Mittelpunkt der schwersten Kämpfe stünden die Gebiete um Bachmut und Awdijiwka. Dabei setzten die von Kampfflugzeugen unterstützten russischen Streitkräfte neben Rohrartillerie auch Raketenwerfer, Minenwerfer und Panzer ein. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.

Im Schnitt führe die russische Armee in der Region täglich rund 200 Artillerieschläge aus, sagte Tscherewatyj. «Aber trotz dieser Bemühungen schafft es der Feind schon seit Monaten nicht, unsere Verteidigung zu durchbrechen.»

Am späten Montagabend wurde in mehreren Teilen der Ukraine Luftalarm ausgelöst. Nach einem Bericht der Staatsagentur Unian waren in Poltawa und Dnipro mehrere Explosionen zu hören. Nähere Erkenntnisse lagen zunächst nicht vor.

Ukrainische Großstadt Dnipro von vier Raketen getroffen

Die zentralukrainische Großstadt Dnipro wurde Behördenangaben zufolge unterdessen in der Nacht zu Dienstag von vier russischen Raketen getroffen. Die Produktionsanlagen einer «privaten Firma» seien schwer beschädigt worden, teilte der Gouverneur des Gebietes Dnipropetrowsk, Walentyn Renitschenko, auf Telegram mit. Nähere Angaben zu dem Unternehmen machte er nicht. Es sei ein Brand entstanden, der aber gelöscht worden sei. Niemand sei getötet oder verletzt worden, schrieb Resnitschenko. Auch die weiter südlich gelegene Stadt Nikopol am Fluss Dnipro sei beschossen worden.

Ukrainischer Minister beklagt russische Raketenangriffe

Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow wartete mit ungewöhnlichen Zahlen auf. Seit Kriegsbeginn vor neun Monaten hat Russland nach seinen Worten über 16.000 Raketen eingesetzt und in 97 Prozent der Fälle zivile Ziele ins Visier genommen. «Wir kämpfen gegen einen terroristischen Staat», schrieb Resnikow auf Twitter. Seine Zahlen decken sich allerdings nicht mit denen des Präsidenten. Selenskyj hatte vor einer Woche erklärt, dass Russland die Ukraine seit Kriegsbeginn mit knapp 4700 Raketen beschossen habe.

Generalstab: Russen sterben unrühmlich

Russische Soldaten finden nach den Worten des Generalstabs in Kiew in der Ukraine weiterhin «einen unrühmlichen Tod». So habe eine russische Einheit in der Region Luhansk im Osten in der vergangenen Woche etwa 70 Prozent ihrer Soldaten verloren. In der Region Cherson sei ein russischer Kommandostab getroffen worden. Auch diese Angaben konnten nicht unabhängig geprüft werden.

London: Russland ändert Grundkonzept der Bataillone

Nach britischer Einschätzung rückte Russland derweil von seinem militärisch-taktischen Grundkonzept ab. In den vergangenen drei Monaten seien die russischen Kräfte in der Ukraine größtenteils nicht mehr als taktische Bataillonsgruppen (BTG) aufgetreten, teilte das Verteidigungsministerium in London unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse mit.

Die hochintensiven Kämpfe auf weiter Fläche hätten mehrere Fehler des Konzepts offengelegt. «Die relativ geringe Zuteilung von Infanterie an die BTG hat sich oft als unzureichend erwiesen.» Zudem habe es die dezentrale Verteilung von Artillerie Russland nicht ermöglicht, seinen Mengenvorteil bei dieser wichtigen Waffe auszuschöpfen. Nur wenige Kommandeure hätten die Erlaubnis, das Modell flexibel zu nutzen, hieß es in London.

Das BTG-Konzept ist ein zentraler Pfeiler der russischen Militärdoktrin der vergangenen Jahre. Dabei wird jeder taktische Verband sowohl mit Infanterie als auch mit Flugabwehr, Artillerie sowie Logistik- und Aufklärungseinheiten ausgestattet. Dies soll den Einheiten ermöglichen, selbstständig mit mehreren Waffengattungen zu kämpfen.

Das wird am Dienstag wichtig

Mit Ermittlungen zu in der Ukraine verübten Kriegsverbrechen beschäftigen sich die Justizminister der G7-Staaten bei einem Treffen in Berlin. Zu den Beratungen hat Bundesjustizminister Marco Buschmann auch eine Delegation aus der Ukraine eingeladen. Die Regierung in Kiew setzt sich für ein Sondertribunal zur Verfolgung russischer Verbrechen in der Ukraine ein, das sich mit der Völkerrechtsstraftat der Aggression befasst.

Mit Blick auf das G7-Treffen bekräftigte der ukrainische Justizminister Denys Maljuska die Forderung seines Landes, Russland für die Kriegsschäden zur Kasse zu bitten. «Russland muss Reparationen zahlen, wie wir es in vergangenen Kriegen in anderen Regionen gesehen haben», sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Man gehe von einem Schaden von 150 Milliarden Dollar aus, «der den wirtschaftlichen Schaden nicht einschließt, und der die Kosten für die Verletzten und Kriegsopfer und ihre Familien nicht einschließt».

Die Außenminister der 30 Nato-Staaten beraten bei einem Treffen in der rumänischen Hauptstadt Bukarest über weitere Möglichkeiten zur Unterstützung der Ukraine. Nach Angaben von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wird es dabei unter anderem um die Lieferung von Gütern gehen, die nicht zum Töten von Menschen dienen. Damit sind zum Beispiel Winterausrüstung für die Streitkräfte, medizinisches Material und Störsender zur Drohnenabwehr gemeint.

Die Lieferung von tödlichen Waffen und Munition durch die Nato soll wegen des Risikos einer weiteren Eskalation des Konflikts mit Russland weiterhin Sache der einzelnen Mitgliedstaaten bleiben. Als Gast wurde der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba zu dem Treffen eingeladen.

 

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