Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Kiew (dpa) – Während die ukrainische Armee im östlichen Gebiet Donezk weiter unter Druck bleibt, hat Präsident Wolodymyr Selenskyj neue Waffenlieferungen durch Partner angedeutet. Landesweit gab es am Abend Luftalarm, aus mehreren Regionen wurden Explosionen gemeldet. Angespannt bleibt die Lage auch um das Atomkraftwerk Saporischschja. Am Sonntag wurde es erneut beschossen. Kiew und Moskau beschuldigten sich gegenseitig dafür.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International versucht nach einem umstrittenen Bericht über die Kriegsführung der ukrainischen Armee, sich von der russischen Propaganda zu distanzieren. Derweil suchen internationale Stars nach ihrer politischen Position.

Selenskyj kündigt «gute Nachrichten» an

Selenskyj deutete an, dass weitere Waffen an die Ukraine geliefert werden könnten. «Nächste Woche erwarten wir Neuigkeiten von Partnern bezüglich der Hilfspakete. Gute Nachrichten!», sagte Selenskyj am Sonntag in seiner Videoansprache. Schlüssel der erfolgreichen Verteidigung seien nach wie vor Waffenlieferungen aus dem Westen.

Nach Angaben Selenskyjs verlaufen die härtesten Kämpfe im Donbass. Die Lage dort bleibe schwierig. Die Verteidigung von Orten wie «Awdijiwka, Pisky, Marjinka und Bachmut erfordern unsere Hauptanstrengung und leider viele Leben», sagte er. Zudem erneuerte er seine Vorwürfe an Russland, das AKW Saporischschja im Süden der Ukraine beschossen zu haben.

Eskalation um AKW Saporischschja droht

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage warfen sich Moskau und Kiew gegenseitig den Beschuss der Anlage vor. Die ukrainische Armee habe in der Nacht zum Sonntag eine Rakete auf das AKW-Gelände abgefeuert, meldete die russische Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf die Besatzungsverwaltung der Stadt Enerhodar, in der das Kraftwerk liegt.

Die ukrainische Atombehörde Enerhoatom hingegen beschuldigte die Russen, das unter ihrer Kontrolle stehende Gelände selbst beschossen zu haben. Die Angaben beider Seiten ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Die Internationale Atombehörde fordert von beiden Seiten, unabhängigen Atomexperten den ungehinderten Zugang zu der Anlage zu ermöglichen.

Kiew: Schwere Kämpfe in Ostukraine

In der ostukrainischen Provinz Donezk toben weiter schwere Kämpfe bei den Städten Bachmut und Awdijiwka. Östlich und südlich der Nachbarstädte Soledar und Bachmut seien russische Angriffe abgewehrt worden, teilte der ukrainische Generalstab am Montag auf Facebook mit. Ebenso seien russische Vorstöße östlich von Siwersk und südwestlich der Stadt Awdijiwka gescheitert. Unabhängig überprüfen ließen sich diese Angaben zunächst nicht.

Bei der von russischen Truppen besetzten Großstadt Cherson im Süden startete die ukrainische Armee erneut Gegenangriffe mit Raketen auf die strategisch wichtige und bereits zuvor beschädigte Antoniwka-Brücke über den Fluss Dnipro. Das bestätigte die Sprecherin des ukrainischen Südkommandos, Natalija Humenjuk.

Zudem sei die Straße über den Dnipro-Staudamm bei Nowa Kachowka mit Raketen beschossen worden. Seit der Beschädigung der drei einzigen Flussquerungen beim russisch besetzten Unterlauf des Dnipro Ende Juli ist der Nachschub für die russischen Truppen auf dem rechten Ufer erheblich gestört.

London: Moskau setzt an Frontlinie wohl Antipersonenminen ein

Nach Einschätzung britischer Geheimdienste setzt Russland in der Ukraine höchstwahrscheinlich hochgefährliche Antipersonenminen einsetzen. Moskau wolle damit wohl seine Frontlinien in der ukrainischen Donbass-Region verteidigen, hieß es am Montag in einem Tweet des britischen Verteidigungsministeriums. Die Minen seien sowohl für Truppen als auch die lokale Zivilbevölkerung extrem gefährlich.

Die Minen des Typs PFM-1 – auch Schmetterlingsmine genannt – seien «zutiefst umstritten», hieß es. Im Afghanistan-Krieg hätten sie furchtbare Auswirkungen gehabt, Kinder hätten sie dort für Spielzeuge gehalten. Es sei außerdem wahrscheinlich, dass Russland seinen Bestand aus Sowjetzeiten nutze, der über die Jahre marode geworden und damit nun noch unberechenbarer sei, hieß es in der Mitteilung der Briten. Dies stelle ein erhebliches Risiko für Spezialkräfte dar, die die Gebiete entminen.

Erster Getreidefrachter erreicht Zielhafen Türkei

Erstmals seit Abschluss des internationalen Getreideabkommens erreichte derweil ein Frachter mit Mais aus der Ukraine seinen Zielhafen in der Türkei. Das unter türkischer Flagge fahrende Schiff «Polarnet» sei am Montag in Kocaeli am Marmara-Meer angekommen, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Bisher haben dem türkischen Verteidigungsministerium zufolge zehn Getreideschiffe ukrainische Häfen verlassen. Der Frachter «Razoni» war am Montag vergangener Woche als erster mit dem Ziel Libanon aufgebrochen. Dessen Ankunft verzögert sich jedoch weiter.

Zuvor waren Agrarexporte über die ukrainischen Schwarzmeerhäfen wegen des russischen Angriffskriegs auf das Nachbarland seit Ende Februar blockiert. Die Kriegsgegner unterzeichneten am 22. Juli unter UN-Vermittlung jeweils getrennt mit der Türkei ein Abkommen, um von drei Häfen Getreideausfuhren aus der Ukraine zu ermöglichen. Mit Inspektionen soll sichergestellt werden, dass die Schiffe keine Waffen transportieren.

Amnesty bedauert «Schmerz» in Kiew nach Bericht

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International verteidigte ihren umstrittenen Bericht zur Kriegsführung der ukrainischen Armee und erklärte zugleich ihr Bedauern über dessen Auswirkungen. «Amnesty International bedauert tief den Schmerz und Ärger, den unsere Pressemeldung über die Kampftaktiken des ukrainische Militärs ausgelöst hat», heißt es in einem der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Statement der Organisation. Amnesty hält dabei an den wichtigsten Erkenntnissen des Berichts fest.

In dem am Donnerstag veröffentlichten Bericht hatte Amnesty der ukrainischen Armee vorgeworfen, sich in Wohnvierteln zu verschanzen und damit Zivilisten unnötig in Gefahr zu bringen. «Obwohl wir voll zu unseren Erkenntnissen stehen, bedauern wir den entstandenen Schmerz und wollen ein paar entscheidende Punkte klar stellen», teilte Amnesty nach der daraufhin einsetzenden Kritik nun mit. So habe die Organisation an 19 verschiedenen Orten ukrainische Verstöße gegen das Kriegsrecht festgestellt. Dies rechtfertige aber nicht die russischen Kriegsverbrechen. Amnesty habe diese Verbrechen in den vergangenen Monaten mehrfach thematisiert.

Roger Waters versus Jessica Chastain

Derweil sorgte der britische Musiker Roger Waters, Ex-Frontman von Pink Floyd, mit Äußerungen zum russischen Angriffskrieg für Empörung in Kiew und für Beifall in Moskau – und rief ansonsten Irritationen hervor. Hatte er zu Kriegsbeginn den russischen Angriff noch als Akt eines Gangsters bezeichnet, schob er nun die Schuld auf US-Präsident Joe Biden, was Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew freute. «Es gibt noch adäquate Leute im Westen. Pink Floyd forever», schrieb dieser auf seiner Seite im sozialen Netzwerk vkontakte.

Oscar-Preisträgerin Jessica Chastain blieb ihrer proukrainischen Haltung treu. In Kiew besuchte sie ein Kinderkrankenhaus und später die Kiewer Vorstadt Irpin, die durch russische Kriegsverbrechen bekannt wurde. Am Abend wurde sie wie andere Hollywood-Größen zuvor von Präsident Selenskyj empfangen.

Das wird am Montag wichtig

Im Gebiet Donezk verteidigt die ukrainische Armee weiter den letzten großen Ballungsraum, der im Donbass noch unter ihrer Kontrolle steht. Insbesondere die strategisch wichtige Kleinstadt Bachmut steht stark unter Druck russischer Angriffe. In den USA wird derweil Medienberichten zufolge ein neues Hilfspaket für die Ukraine geschnürt. Erwartet wird, dass Joe Biden heute weitere Waffenlieferungen im Wert von einer Milliarde Dollar ankündigt.

Libanon wartet hingegen weiter auf das erste mit ukrainischem Getreide beladene Schiff. Der Frachter «Razoni» war am vergangenen Montag aus dem ukrainischen Schwarzmeerhafen von Odessa ausgelaufen.

 

Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen
Eifelzeitung E-Paper Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen