Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Kiew (dpa) – Mehr als 14 Monate nach Beginn des russischen Angriffskriegs hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Rückkehr aller verschleppten Kinder und Strafen für die Täter gefordert. «Die Deportation ukrainischer Kinder ist eines der komplett vorsätzlichen Elemente von Russlands Versuch, die Identität unseres Volkes auszulöschen und das Wesen der Ukrainer auszulöschen», sagte Selenskyj gestern in seiner abendlichen Ansprache.

Die USA verhängten unterdessen neue Sanktionen gegen Russland wegen «unrechtmäßiger Verhaftungen». Und es gibt neue Entwicklungen im Fall der mysteriösen Nord-Stream-Explosionen.

Selenskyj: «Es wird Strafen für Völkermord geben»

Die Verschleppung von ukrainischen Kindern müsse sowohl politisch als auch juristisch als Völkermord eingestuft werden, forderte Selenskyj. Das sei auch wichtig, um anderen potenziellen Täter-Staaten zu signalisieren: «Es wird Strafen für Völkermord geben.» An der Rückkehr der verschwundenen Kinder werde weiter gearbeitet.

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wirft Kiew Moskau vor, ukrainische Kinder zu deportieren. Selenskyj sprach nun von insgesamt fast 20.000 verschleppten Minderjährigen. Moskau bestreitet dies zwar und spricht von Evakuierungen. Im März hat allerdings sogar der Internationale Strafgerichtshof mit Sitz in Den Haag Haftbefehl gegen Kremlchef Wladimir Putin und dessen Kinderrechtsbeauftragte, Maria Lwowa-Belowa, erlassen. Die Ermittler machen beide für Kriegsverbrechen verantwortlich – darunter die Verschleppung von Kindern aus besetzten ukrainischen Gebieten.

Selenskyj verurteilt «Nacht des Terrors»

Der ukrainische Präsident sprach nach den neuen russischen Raketenangriffen von einer «Nacht des Terrors». «Terroristen haben Zivilisten als Ziel genommen», sagte Selenskyj. Zehn Wohngebäude seien in der zentralukrainischen Stadt Uman im Gebiet Tscherkassy getroffen worden. Selenskyj veröffentlichte dazu Fotos von den Zerstörungen in den sozialen Netzwerken. Ein Wohnblock sei zerstört. «Stand jetzt: sieben Tote, es gibt Verletzte», sagte er. Behörden zufolge war unter den Toten ein Kind. Die Rede war von 17 Verletzten. Einsatzkräfte suchten in den Trümmern nach weiteren Menschen.

«Das russische Böse kann durch Waffen gestoppt werden, unsere Verteidiger tun dies. Und es kann durch Sanktionen beendet werden», sagte Selenskyj. Er fordert seit langem deutlich mehr Waffen, eine Verschärfung der internationalen Strafmaßnahmen gegen Russland und eine bessere Kontrolle der Umsetzung der bisher erlassenen Exportbeschränkungen in das Riesenreich. Auch in der Stadt Dnipro starben bei nächtlichem Beschuss Behörden zufolge eine Frau und Kind.

Selenskyj dankte auch der Flugabwehr für den Abschuss von Raketen. Die Ukraine werde die Verbrechen nicht ungesühnt lassen, betonte er. Jede dieser Attacken bringe Russland seiner Niederlage in dem Krieg näher.

In der Ukraine herrschte in der Nacht einmal mehr Flugalarm. Der Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee, Walerij Saluschnyj, gab die Gesamtzahl der Raketen, die auf die Ukraine in der Nacht abgefeuert worden seien, mit 23 an. Davon seien 21 abgeschossen worden. Auch zwei Drohnen seien abgeschossen worden. Nach ukrainischen Militärangaben schoss die Flugabwehr auch elf Marschflugkörper in der Nähe der Hauptstadt Kiew ab.

Über 1000 Russen vor Militärgericht

Seit Beginn der Mobilmachung in Russland klagten die Behörden Medien zufolge mehr als 1000 Soldaten wegen Fahnenflucht, unerlaubter Entfernung von der Truppe oder Befehlsverweigerung an. «Stand letzte Aprilwoche sind 1064 Fälle bei Militärgerichten eingegangen», berichtete das unabhängige Portal Mediazona.

Putin hat im Herbst 2022 eine Teilmobilmachung verkündet. Aus Angst vor einer Einberufung flüchteten damals Hunderttausende Russen ins Ausland. Derzeit häufen sich wieder Spekulationen um eine neue Einberufungswelle. Der Kreml hingegen dementiert das bislang.

USA verhängen Santionen gegen Russland und Iran

Die USA verhängen wegen «unrechtmäßiger Verhaftungen» neue Sanktionen gegen Russland und den Iran. Betroffen sei unter anderem der russische Geheimdienst FSB, teilte die US-Regierung gestern mit. Menschen dürften keine «politischen Schachfiguren» sein, die «unter falschem Vorwand» verhaftet werden.

Aufsehen in Russland erregte zuletzt die Verhaftung des US-Reporters Evan Gershkovich wegen angeblicher Spionage in Russland. Der Korrespondent des «Wall Street Journal» wurde Ende März im Ural vom FSB in Gewahrsam genommen. Die Behörden werfen ihm Spionage im Auftrag der US-Regierung vor. Die US-Regierung betonte nun, dass an dem neuen Sanktionspaket schon vor Gershkovichs Verhaftung gearbeitet worden sei. Ebenfalls wegen angeblicher Spionage in Russland inhaftiert ist seit 2018 der US-Amerikaner Paul Whelan.

Russisches Schiff kurz vor Nord-Stream-Explosion nahe Tatort

Wenige Tage vor den Nord-Stream-Explosionen in der Ostsee bafand sich nach Angaben des dänischen Militärs ein russisches Spezialschiff in der Nähe der Detonationsorte. Das dänische Verteidigungskommando bestätigte der Zeitung «Information», dass ein Patrouillenschiff am 22. September 2022 östlich der Insel Bornholm 26 Bilder von der «SS-750» gemacht habe. Vier Tage später war es nahe Bornholm zu mehreren Explosionen an den Pipelines gekommen. Die Behörden gehen von Sabotage aus. Wer dafür verantwortlich ist, ist unklar. In Deutschland, Dänemark und Schweden laufen Ermittlungen.

Das wird heute wichtig:

Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu will in Indiens Hauptstadt Neu-Delhi seine Kollegen von der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit treffen. Zu den Mitgliedsstaaten zählen unter anderem auch China und Iran.

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