Die Machtfrage: Biden provoziert mit Putin-Aussage in Polen

Russische Invasion
Von Julia Naue und Ulf Mauder, dpa

 Warschau/Washington/Moskau (dpa) – Eigentlich war die Rede schon so gut wie vorbei. Doch dann sagte US-Präsident Joe Biden den entscheidenden Satz. «Um Gottes willen, dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben.» Gemeint war Russlands Präsident Wladimir Putin.

«Mörderischer Diktator» und «Tyrann» und zuletzt sogar «Schlächter»: Biden hat für Putin seit Beginn des brutalen Kriegs in der Ukraine schon viele Beschimpfungen gefunden. Aber dass Biden bei seiner Rede im Warschauer Königsschloss Putins Macht offen in Frage stellte, hat eine neue Dimension. Starke Worte angesichts des Grauens in der Ukraine oder ein folgenschwerer Fehler?

Rede sollte Höhepunkt der Europa-Reise sein

Bidens Rede war der Abschluss seiner mehrtägigen Europa-Reise, die ihn nach Brüssel und Polen führte. Ziel des US-Präsidenten war es, die Geschlossenheit des Westens gegenüber Russland zu zementieren und dem Nato-Staat Polen die Unterstützung der Verbündeten zu versichern. Biden besuchte in Polen stationierte US-Truppen nur 90 Kilometer von der Grenze entfernt und sprach mit Geflüchteten. Höhepunkt seiner Reise sollte die Rede im Innenhof des Königsschlosses sein. Der Ort hat historische Bedeutung – das Schloss gilt als Symbol der im Zweiten Weltkrieg von Nazi-Deutschland großteils zerstörten und später wiederaufgebauten Stadt.

Biden beschwor in Warschau die Werte der Demokratie im Kampf gegen Autokratie und Unterdrückung. «Dieser Kampf wird nicht in Tagen oder Monaten gewonnen werden», sagte er. Er sei die «Aufgabe dieser Generation». Der US-Präsident warb um die Unterstützung der Weltöffentlichkeit für die Ukraine. Das Weiße Haus hob zuvor immer wieder die Bedeutung von Bidens Worten hervor. Es sollte ein wichtiger Moment für Bidens Präsidentschaft werden, vielleicht gar eine historische Rede. Doch ausgerechnet ein Satz, der so wohl gar nicht Redemanuskript gestanden hat, hallt weithin nach.

Weißes Haus bemüht um Erklärung

Beraterinnen und Berater des Präsidenten seien völlig überrascht gewesen, berichteten US-Medien. Es dauerte nicht lange, bis das Weiße Haus versuchte, die Worte des Präsidenten wieder einzufangen. «Die Botschaft des Präsidenten war es, dass es Putin nicht erlaubt sein darf, Macht über seine Nachbarn oder die Region zu haben», lautete die etwas bemühte Erklärung. Auch US-Außenminister Antony Blinken versuchte am Sonntag in Jerusalem, den Satz des Präsidenten wieder geradezurücken. «Wir verfolgen keine Strategie eines Regimewechsels in Russland oder irgendwo anders.»

In Russland macht sich indes Entsetzen breit. Der Kreml stellt klar: «Das entscheidet nicht Biden, der Präsident Russlands wird vom russischen Volk gewählt.» Auch aus dem Westen kommt vorsichtige Kritik an Biden. «Wir dürfen nicht eskalieren, weder mit Worten noch mit Taten», sagte Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron.

Biden: Habe keinen Machtwechsel gefordert

Präsident Biden selbst hat inzwischen dementiert, dass er den Sturz Putins gefordert habe. Eine Reporterin fragte Biden am Sonntagabend (Ortszeit) im Anschluss an dessen Kirchenbesuch: «Herr Präsident, wollen Sie, dass Putin (von seinem Amt) entfernt wird? Herr Präsident, haben Sie einen Regimewechsel gefordert?» Biden antwortete darauf: «Nein.»

Darüber, ob Bidens Satz schlau war, gehen auch die Meinungen in den USA auseinander. «Es war etwas, das er sagen musste», sagte der Militärexperte Mark Hertling. Während über die Nuancen von Bidens Worten diskutiert werde, treibe Putin Millionen von Menschen in die Flucht und töte Tausende. Anders sieht es das Magazin «The Atlantic»: Selbst diejenigen, die meinen, dass Biden in dieser Krise bisher eine gute Figur gemacht habe, sollten zugeben, dass die Äußerung ein «Fehler» gewesen sei. Die «Washington Post» sieht in Bidens Satz eine Umkehr der bisher erklärten US-Politik mit unklaren Folgen.

Russland warnt wegen der massiven Spannungen mit den USA inzwischen immer wieder vor einem Abbruch der ohnehin schon stark reduzierten diplomatischen Beziehungen. Auch bei jenen Russen, die Putin nicht wählen würden, kommt es nicht gut an, wenn ein US-Präsident sagt, wer im Kreml nicht reagieren sollte. Zwar hat Putin nach mehr als 22 Jahren an der Macht inzwischen an Popularität eingebüßt. Aber auch dank der vom Kreml gesteuerten Propaganda in den Staatsmedien, die keine anderen Meinungen zulassen, sehen viele Menschen in Russland gar keine Alternative zu dem 69-Jährigen.

Reihen hinter Putin sind noch geschlossen

Dennoch gibt es immer wieder auch in den USA Spekulationen darum, ob durch die westlichen Sanktionen und die vielen Nachteile, die Russlands Oligarchen als Unterstützer Putins nun dadurch haben, Moskaus Machtapparat ins Wanken gerät. Aber echte Risse im System Putin gibt es nach Einschätzung von Experten bisher nicht. Noch sieht etwa die russische Politologin Tatjana Stanowaja die Reihen hinter Putin für recht geschlossen. Sie meint aber auch, dass später abgerechnet werde. «Putin sieht sich nach meiner Erinnerung nun erstmals mit Folgen konfrontiert, die so nicht erwartet wurden», sagt sie.

Biden sprach in Warschau nicht nur über Putin – seine Worte waren auch vor dem entscheidenden Satz stark. Er erinnerte an große Polen. «Fürchtet Euch nicht», zitierte Biden die Botschaft von Papst Johannes Paul II., der in Polen allgegenwärtig ist und verehrt wird. Er sprach vom Fall der Berliner Mauer und dem Ende der Sowjetunion. Immer wieder flammte Applaus auf – im Publikum waren auch Menschen aus der Ukraine.

Während Biden am Samstagnachmittag geflüchtete Kinder in Polen in den Arm nahm, ging dort der Krieg in unveränderter Härte weiter – auch im Westen der Ukraine, nur einige Hundert Kilometer von Biden entfernt.

 

 

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